Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Kerle von Guillos sind Schlappschwänze, seit sie nur noch Lavendel ziehen.«
    »Träumt doch nicht, Leute«, sagte der Postbeamte, ein ziemlich neurasthenischer Typ. »Wir sind auch nicht besser als die in Guillos oder anderswo. Wir haben einfach keinen Riecher mehr, wir finden die Fährten nicht mehr. Diese Bestie schnappen wir erst an dem Tag, an dem sie hier aufkreuzt, um sich ein Gläschen am Tresen zu genehmigen. Und selbst dann müssen wir noch abwarten, bis sie völlig abgefüllt ist, bevor wir sie kriegen, und das auch nur zu zehnt. Bis dahin wird sie die ganze Gegend aufgefressen haben.«
    »Du machst wohl Witze!«
    »Ein Wolf, der sich ein Gläschen genehmigt! Das ist doch wohl völlig bescheuert.«
    »Wir sollten einen Heli anfordern«, schlug eine Stimme vor.
    »Einen Heli? Um das Gebirge abzusuchen? Bist du beknackt oder was?«
    »Sieht übrigens so aus, als wär Massart verlorengegangen«, warf ein anderer ein. »Die Gendarmen suchen ihn am Mont Vence.«
    »Na, das nenn ich einen Verlust«, sagte Albert.
    »Armes Arschloch«, sagte Larquet.
    »Das reicht jetzt«, sagte Lucie.
    »Und wie willst du wissen, daß Massart nicht von der Bestie geschnappt worden ist? Wo er doch versessen darauf ist, immer nachts rauszugehen?«
    »Ja, ja, wir werden Massart noch zerstückelt wiederfinden. Das sag ich euch.«
    Lawrence packte Camille am Handgelenk.
    »Laß uns gehen«, sagte er. »Die machen mich wahnsinnig.«
    Als sie auf dem Dorfplatz standen, holte Lawrence tief Luft, als ob er gerade einer giftigen Wolke entkommen wäre.
    »Ein Haufen Irrer«, brummte er.
    »Das ist kein Haufen«, sagte Camille. »Es sind Männer, die Angst haben, die Kummer haben oder die schon betrunken sind. Einverstanden, Albert ist ein Irrer.«
    Sie gingen die glühendheißen Wege zum Haus hinauf.
    »Was sagst du dazu?« fragte Camille.
    »Wozu? Daß sie betrunken waren?«
    »Nein. Das Dorf, wo der Überfall stattfand. Guillos. Das ist der Ort, der auf der Karte markiert ist.«
    Lawrence blieb stehen und starrte Camille an.
    »Wie hätte Massart das wissen können?« murmelte sie. »Wie hätte er das vorher wissen können?«
    In der Ferne war Hundegebell zu hören. Lawrence spannte sich an.
    »Die Gendarmen können ihn ruhig suchen«, sagte er höhnisch grinsend, »sie werden ihn nicht finden. War letzte Nacht in Guillos, morgen in La Castille. Er ist es, der sie tötet. Er, Camille - zusammen mit Crassus.«
    Camille machte eine Bewegung, wie um etwas zu sagen, und gab es auf. Sie wußte nicht mehr, was sie zu Massarts Verteidigung vorbringen sollte.
    »Mit Crassus«, wiederholte Lawrence. »Auf der Flucht. Wird Schafen, Frauen, Kindern die Kehle zerfetzen.«
    »Aber warum, um Himmels willen?« murmelte sie.
    »Weil er unbehaart ist.«
    Camille warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
    »Und das hat ihn verrückt gemacht«, fuhr Lawrence fort. »Gehen wir zu den Bullen.«
    »Halt mal«, sagte Camille und hielt ihn am Arm zurück.
    »Was? Willst du, daß er noch mehr Menschen angreift?«
    »Laß uns bis morgen warten. Vielleicht finden sie ihn ja. Bitte.«
    Lawrence nickte und ging schweigend weiter.
    »Augustus hat seit Freitag nichts gefressen«, sagte er. »Ich fahr ins Massiv hoch. Bin morgen mittag zurück.«
    Am nächsten Tag zur Mittagszeit hatte man Massart noch nicht gefunden. Die Dreizehn-Uhr-Nachrichten meldeten, daß zwei Schafe in La Castille getötet worden waren. Der Wolf bewegte sich in Richtung Norden.
    In Paris registrierte Adamsberg die Information. Er hatte sich eine Generalstabskarte des Mercantour besorgt, die er in die unterste Schublade seines Schreibtischs gestopft hatte, eine Schublade, die verworrenen Fragen und Ungewissen Manövern vorbehalten war. Er unterstrich den Ortsnamen La Castille rot. Gestern hatte er Guillos unterstrichen. Die Wange in die Hand gestützt, betrachtete er lange versonnen die Karte.
    Sein Stellvertreter Danglard beobachtete ihn argwöhnisch. Er verstand nicht, daß Adamsberg sich derart für diese Wolfsgeschichte interessierte, wo sie doch ein komplexes Tötungsdelikt in der Rue Gay-Lussac zu bearbeiten hatten - ein Fall von Notwehr, der etwas zu eindeutig war - und eine total verrückte Killerin geschworen hatte, ihm eine hübsche kleine Kugel in den Wanst zu jagen. Aber so war es immer gewesen: Danglard hatte die eigenartige Logik, von der Adamsberg sich leiten ließ, nie begreifen können. In seinen Augen handelte es sich dabei übrigens keineswegs um Logik, sondern eher um

Weitere Kostenlose Bücher