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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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einer heißt Gendarmeriehauptmann.«
    »Na, genau den will ich: den Gendarmeriehauptmann.«
    »Und aus welchem Grund wollen Sie ihn sprechen?«
    »Weil ich ihm eine höllische Geschichte zu erzählen habe. So höllisch, daß Sie mich, wenn ich sie Ihnen erzählt habe, zu Ihrem Offizier schicken werden, und wenn der Offizier sie gehört hat, wird er mich zum Chef schicken. Der Chef wird finden, daß das seine Kompetenzen überschreitet, und wird mich zum Gendarmeriehauptmann schicken. Aber ich hab zu tun. Ich werd das nicht viermal erzählen, ich geh direkt zum Hauptmann.«
    Der diensthabende Beamte runzelte verwirrt die Stirn.
    »Was ist an der Geschichte so höllisch?«
    »Hör zu, Gendarm«, sagte Lawrence, »weißt du, was ein Werwolf ist?«
    Der Gendarm lächelte.
    »Hm, ja«, erwiderte er.
    »Dann lach nicht, denn es ist eine Geschichte von einem Werwolf.«
    »Ich glaube, das überschreitet meine Kompetenzen«, sagte der Beamte nach einigem Zögern.
    »Das habe ich befürchtet«, bemerkte Lawrence.
    »Ich weiß nicht einmal, ob das in das Ressort des Hauptmanns fällt.«
    »Hör mal zu, Gendarm«, wiederholte Lawrence geduldig, »wir werden später sehen, was in das Ressort des Hauptmanns fällt und was nicht. Aber bis dahin versuchen wir's mal. Einverstanden?«
    Der Beamte verschwand und kam fünf Minuten später zurück.
    »Der Hauptmann erwartet Sie«, sagte er und zeigte auf eine Tür.
    »Los, geh allein«, flüsterte Camille Lawrence plötzlich zu. »Ich denunziere niemanden. Ich warte im Eingang auf dich.«
    »God. Du läßt mich die Rolle des Dreckskerls spielen, nicht wahr? Du willst vor allem nichts damit zu tun haben, hab ich recht?«
    Camille zuckte mit den Schultern.
    »Geht nicht ums Denunzieren, bullshit«, fuhr Lawrence fort. »Geht darum, einen Verrückten zu stoppen.«
    »Ich weiß.«
    »Also komm.«
    »Ich kann nicht. Verlang's nicht von mir.«
    »Das ist, als ob du Suzanne im Stich lassen würdest.«
    »Keine Erpressung, Lawrence. Geh allein. Ich warte auf dich.«
    »Verurteilst du, was ich mache?«
    »Nein.«
    »Dann bist du feige.«
    »Ich bin feige.«
    »Hast du das schon immer gewußt?«
    »Verdammt, ja natürlich.«
    Lawrence lächelte und folgte dem diensthabenden Beamten. Vor der Bürotür hielt dieser ihn am Ärmel zurück.
    »Ganz im Ernst«, flüsterte der junge Gendarm, »ein echter Werwolf? Ein Typ, der, wenn man ihn aufschneidet...«
    »Das weiß man noch nicht«, sagte Lawrence. »Das ist so eine Sache, die man erst in letzter Minute überprüft. Verstehst du?«
    »Hundert Prozent.«
    »Um so besser.«
    Der Gendarmeriehauptmann, ein recht eleganter Mann mit schmalem, schlaffem Gesicht, erwartete ihn, spöttisch lächelnd in seinen Plastikstuhl zurückgelehnt, die Hände über dem Bauch verschränkt. Neben ihm, hinter einem Tischchen mit einer Schreibmaschine, erkannte Lawrence Justin Lemirail, den mittelgroßen Gendarmen, und nickte ihm zu.
    »Ein, wie soll ich sagen, Werwolf, wie?« fragte der Hauptmann in lockerem Ton.
    »Weiß nicht, was daran so lustig sein sollte«, erwiderte Lawrence grob.
    »Also«, fuhr der Hauptmann in jenem verbindlichen Tonfall fort, den man annimmt, wenn man Irren nicht widersprechen will. »Wo soll dieser Werwolf sein?«
    »In Saint-Victor-du-Mont. Letzte Woche fünf getötete Schafe in der Schäferei von Suzanne Rosselin. Ihr Kollege war da.«
    Der Hauptmann streckte dem Kanadier in einer affektierten, eher mondänen als militärischen Geste die Hand hin.
    »Name, Vorname, Personalausweis«, forderte er, noch immer lächelnd.
    »Lawrence Donald Johnstone. Kanadische Staatsangehörigkeit.«
    Lawrence zog einen ganzen Packen Papiere aus seiner Jacke und legte sie auf den Schreibtisch. Paß, Visa, Aufenthaltsgenehmigung.
    »Sind Sie der Wissenschaftler, der über den Mercantour arbeitet?«
    Lawrence nickte.
    »Ich sehe hier, wie soll ich sagen, Anträge auf Visaverlängerung. Probleme?«
    »Kein Problem. Ich trödle eben. Ich setze mich fest.«
    »Und warum?«
    »Die Wölfe, die Insekten, eine Frau.«
    »Warum auch nicht«, bemerkte der Hauptmann.
    »Eben«, antwortete Lawrence.
    Der Hauptmann gab Lemirail zu verstehen, daß er anfangen könne zu tippen.
    »Wissen Sie, wer Suzanne Rosselin ist?« fragte Lawrence.
    »Natürlich, Monsieur Johnstone. Es handelt sich um diese arme Frau, die sich am - wie soll ich sagen - Sonntag die Kehle hat durchbeißen lassen.«
    »Wissen Sie, wer Auguste Massart ist?«
    »Diese Person suchen wir seit

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