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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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mit seinem Arm auf die Weiden.
    »Wir und er«, sagte er. »Er ist da hinten. Er verbirgt sich, er wartet. In einer Stunde, sobald es dunkel ist, kommt er mit seinen Tieren hervor. Er braucht Fleisch, für sie und für sich.«
    »Glaubst du, daß er auch das Fleisch von den toten Schafen ißt?« fragte Soliman.
    »Zwangsläufig trinkt er zumindest ihr Blut«, meinte der Wacher. »Wir haben den Wein vergessen«, fügte er plötzlich hinzu. »Hol ihn raus, Sol. Ich hab eine ganze Kiste davon mitgenommen, hinter der Plane vor den Toiletten.«
    Soliman kam mit einer Flasche Weißwein ohne Etikett zurück. Der Wacher zeigte ihn Camille.
    »Der Wein ist aus dem Dorf«, erklärte er und zog einen Korkenzieher aus seiner Hosentasche. »Der Weißwein von Saint-Victor. Nicht transportfähig. Der hält einen am Leben. Der ist stramm. Wir brauchen keinen andern.«
    Der Wacher setzte die Flasche an die Lippen.
    »Du bist hier kein alter, einsamer Schäfer«, sagte Sol und hielt seinen Arm fest, »du hast Gesellschaft. Trink nicht wie ein Ekel. Ab heute abend trinken wir aus Gläsern.«
    »Ich hätte sowieso mit euch geteilt«, sagte der Wacher.
    »Darum geht's nicht«, sagte Soliman. »Wir trinken aus Gläsern.«
    Der junge Mann reichte eines Camille, die es an den Wacher weitergab.
    »Vorsicht«, sagte der Wacher, als er den Wein einschenkte. »Er ist heimtückisch.«
    Der Wein hatte einen ungewöhnlichen Geschmack, süß, leicht perlend, und er war im Lastwagen ordentlich warm geworden. Camille wußte nicht recht, ob er sie wirklich während der Reise am Leben erhalten oder sie alle innerhalb der nächsten drei Tage umbringen würde. Sie hielt ihr Glas hin, um eine zweite Ration zu bekommen. »Heimtückisch«, wiederholte der Wacher und hob den Finger.
    »Wir werden uns abwechselnd da postieren«, sagte Soliman und zeigte mit seinem Arm auf einen Felsvorsprung zu ihrer Rechten. »Von dort aus übersieht man den ganzen Berg. Camille übernimmt die erste Wache bis halb eins. Dann bin ich an der Reihe. Ich wecke euch Viertel vor fünf.«
    »Die junge Frau sollte schlafen«, sagte der Wacher. »Morgen muß sie die ganze Strecke bergab fahren.«
    »Stimmt«, sagte Soliman.
    »Es wird schon gehen«, sagte Camille.
    »Wir haben das Gewehr nicht mit«, sagte der Wacher und warf Camille einen vorwurfsvollen Blick zu. »Was machen wir, wenn wir ihn sehen?«
    »Er wird nicht die Paßstraße nehmen«, sagte Soliman, »sondern irgendeinen Pfad abseits. Alles, was wir hoffen können, ist, daß wir ihn entdecken oder hören. In diesem Fall wissen wir auf eine Stunde genau, wann wir ihn in Loubas erwarten können.«
    Der Wacher erhob sich und stützte sich dabei auf seinen großen Stock, klappte seinen Stuhl zusammen und nahm ihn unter den Arm.
    »Ich lasse Ihnen den Hund da, junge Frau«, sagte er zu Camille. »Interlock verteidigt die Frauen.«
    Er drückte ihr die Hand und stand dabei ganz aufrecht, wie ein Tennisspieler nach dem Match. Dann stieg er in den Laster. Soliman warf ihm einen mißtrauischen Blick hinterher und folgte ihm.
    »He«, sagte er, als er hinter ihm einstieg. »Schlaf bloß nicht nackt. Hast du daran gedacht? Schlaf nicht nackt.«
    »In meinem Bett mache ich, was ich will, Sol.«
    »Du bist aber nicht in deinem Bett, du liegst auf deinem Bett, so stickig, wie es in diesem verdammten Laster ist.«
    »Und was ist dabei?«
    »Nachher steigt sie in den Lastwagen zum Schlafen. Sie muß dich ja nicht unbedingt nackt sehen.«
    »Und du?« fragte der Wacher argwöhnisch.
    »Für mich gilt das gleiche«, sagte Soliman etwas von oben herab. »Ich ziehe mir irgendwas über.«
    Der Wacher seufzte und setzte sich aufs Bett.
    »Na gut, wenn es dir Freude macht«, sagte er. »Du bist schon ganz schön kompliziert, Sol. Man fragt sich, wo du solche Manieren gelernt hast.«
    »›Zivilisation‹«, begann Sol.
    Der Wacher schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab.
    »Kannst du nicht mal für zwei Minuten die Klappe halten mit deinem blöden Wörterbuch?«
    Soliman kletterte vom Laster herunter. Ein paar Meter von ihm entfernt stand Camille und suchte den Horizont ab, der langsam dunkler wurde. Sie wandte ihm ihr Profil zu, ihre Hände steckten in den hinteren Taschen ihrer Hose. Sie hatte ein klares Profil, ein ebenmäßiges Kinn, einen schlanken Hals, und dunkle, halblange Haare. Er hatte Camille schon immer zart, rein, fast vollkommen gefunden. Die Vorstellung, so dicht neben ihr zu schlafen, verwirrte ihn. Daran hatte er vor der

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