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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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bringen und zu besiegen. Wenn er sein Geständnis hören würde, überkäme ihn wieder diese kurze Freude, die er immer dann empfand, wenn Intuition und Vernunft zusammentrafen. Adamsberg lächelte. Er zweifelte oft, aber nicht in diesem Fall. Der Typ würde weich werden, es war nur eine Frage der Zeit.
    Adamsberg saß im Gras am Ufer der Rhone, abseits einer kleinen Straße, die oberhalb der Uferböschung verlief, am Rand einer Lichtung, die von Trauerweiden begrenzt wurde, und hielt einen langen Ast ins Wasser, den er gegen die Strömung stemmte. Das Wasser teilte sich vor dem Hindernis und floß dahinter wieder zusammen, welke Blätter strömten über den Ast oder tauchten unter ihm durch. Natürlich würde ihn das nicht sein ganzes Leben beschäftigen.
    Er hatte in Paris angerufen. Sabrina Monge hatte bislang noch nichts unternommen, um seinen Zufluchtsort ausfindig zu machen. Da sie den Kommissar am Abend zuvor nicht hatte nach Hause kommen sehen, hatte sie eine ihrer jungen Sklavinnen auf ihrem Posten plaziert und sich selbst nicht weit von dem zweiten Ausgang, der durch die Keller führte, aufgestellt. Die andere Sklavin versorgte sie beide. Aber, hatte Danglard gesagt, da Adamsberg auch an diesem Morgen weder an dem einen noch an dem anderen Ausgang aufgetaucht sei, beginne sie offenbar, sich ernsthaft Gedanken zu machen.
    »Sie macht sich sogar verdammte Sorgen«, hatte Danglard gesagt. »Man weiß schon nicht mehr, ob sie Sie töten oder heiraten will.«
    Adamsberg hegte diesbezüglich nicht den geringsten Zweifel. Sabrina Monge wollte ihn töten.
    Er nahm den Ast wieder aus dem Fluß und befragte seine innere Uhr. Zwischen zwanzig nach acht und halb neun. Er hatte vergessen, die Acht-Uhr-Nachrichten im Radio zu hören.
    Er wußte also nichts Neues über den großen Wolf.
    Adamsberg versteckte den Ast im Gras der Böschung. Vielleicht würde er sich freuen, ihn morgen hier wiederzufinden. Es war ein langer und starker Ast, gut geeignet, um friedlich mit dem Fluß Zwiesprache zu halten. Er stand auf und streifte flüchtig das Gras von seiner zerknitterten Hose. Er wollte in der Stadt etwas essen gehen, sich wieder unter die Leute und ihren Lärm mischen, mit etwas Glück vielleicht auf eine Bar voller Engländer stoßen.
    Er schüttelte den Kopf. Er bedauerte ein wenig, den großen Wolf verpaßt zu haben.

20
    Camille saß mit gekreuzten Beinen auf einem abgeflachten Felsen, den Hund auf ihren Stiefeln, und beobachtete, wie sich langsam die Nacht über den Mercantour senkte. Überall, wo ihr Blick suchte, stieß er sich an dem schwarzen, ehrfurchtgebietenden und trostlosen Bergmassiv.
    Früher oder später mußte man aus den Bergen herauskommen. Früher oder später wäre Massart ohne deren Schutz. Sicher. Die Hypothese mit der Werkstatt in Loubas klang interessant. Aber vielleicht täuschten sie sich alle. Vielleicht folgte Massart überhaupt keiner Route und suchte auch kein Auto. Vielleicht blieb er auf ewig im Mercantour versteckt. Jetzt, wo Camille dieses riesige Gebiet vor Augen hatte, das so verlassen war wie zu Anbeginn der Welt, hielt sie das für möglich. Siebzig Kilometer Felsen und fast unberührte Wälder und noch viel mehr, wenn man alle Abhänge und Schluchten, alle Ecken und Winkel dazuzählte. Hundertmal mehr, tausendmal mehr. Massart konnte über ein ungeheuer großes menschenleeres Gebiet verfügen und mußte nur seine Fangzähne aufreißen, um Wasser, Fleisch und Opfer in Hülle und Fülle vorzufinden.
    Das Problem war die Kälte. Camille zog ihre Jacke enger um sich. Jetzt, wo es ganz dunkel geworden war, herrschten nur noch zehn Grad, und um vier Uhr morgens wären es nur noch sechs, hatte der Wacher angekündigt. Und es war Ende Juni. Sie streckte ihren Arm nach dem Weißwein von Saint-Victor aus und schenkte sich noch einen Schluck ein. Würde Massart es bei der Kälte aushalten? Monatelang im Schnee? Nur von seinem Wolfspelz geschützt? Er könnte Feuer machen, aber das Feuer würde ihn verraten.
    Also würde er frieren. Also würde er früher oder später aus dem Mercantour herauskommen, aber eben nicht unbedingt morgen in Loubas, wie es für den Wacher und Soliman unzweifelhaft festzustehen schien. Deren Sicherheit überraschte Camille. Die beiden waren sowohl vom Erfolg als auch vom Sinn und Zweck ihrer Unternehmung überzeugt. Während ihr die ganze Verfolgungsjagd manchmal vernünftig und vertretbar und manchmal absurd und sinnlos vorkam.
    Vielleicht würde Massart das Massiv

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