Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
Minuten. Doris zwang sich, es zu ignorieren.
›Los jetzt‹, feuerte sie sich im Stillen an, ›Schluss mit dem welken Fleisch, denk an Katjas Beine!‹
Seit wann verglich sie sich eigentlich ständig mit anderen? Früher hatte sie das nie getan, da war es ihr völlig egal gewesen, ob eine Frau dünner, dicker, schöner, besser angezogen, älter oder jünger war als sie. Aber in der letzten Zeit passierte es immer häufiger. Bei jedem Besuch in Torstens Büro musterte sie die Mitarbeiterinnen, von denen sie viele gar nicht mehr als Kolleginnen kannte. Sie hatte vor zehn Jahren aufgehört, in der Firma mitzuarbeiten, damals waren sie von Hamburg nach Lüneburg gezogen. Doris hatte ihre ganze Zeit und ihren ganzen Ehrgeiz in die Einrichtung des Hauses gesteckt, und als endlich alles vollbracht war, hatte sie keine Lust mehr gehabt, jeden Tag nach Hamburg ins Büro zu fahren. Aus drei halbherzigen Tagen waren dann zwei Vormittage geworden, schließlich fuhr sie nur noch freitags hin, inzwischen ließ sie auch das. Nötig war es sowieso nicht, mittlerweile hatte Torsten vier sehr charmante junge Frauen, die zusammen eine Wohnung nach der anderen verkauften, und das natürlich schneller und vehementer als Doris früher allein. Wenn sie heute mal zu einem Verkaufsgespräch dazukam, wurde sie vermutlich insgeheim belächelt. Dabei wusste sie genau, dass sie es immer noch könnte. Aber niemand |87| fragte sie. Stattdessen saßen da makellose Frauen um die dreißig, mit glatter Haut, schmalen Hosenanzügen und dem Selbstvertrauen der Jugend, die sich Notizen ins iPhone schrieben und mit in Trendfarbe lackierten Fingernägeln ungeduldig auf den Tisch trommelten, wenn die Gattin des Chefs zu lange blieb.
›Ihr werdet auch alt‹, dachte Doris wütend und trat kräftiger. ›Seid sicher.‹
Kurz bevor sie von ihrem inneren Schweinehund vom Gerät geschubst wurde, ging die Tür hinter ihr auf und ein Hotelgast betrat den Raum. Wenn Doris sich umdrehen würde, wäre ihre Körperbeherrschung vorbei, also trat sie verbissen weiter, immer im Takt dieser Höllenmaschine, den starren Blick auf die Ostsee gerichtet.
»Morgen. Sehr diszipliniert.«
Katja stand schon neben ihr, warf ihr Handtuch über den danebenstehenden Stepper und stellte sich darauf. »Wie lange trittst du schon?«
»Gefühlte fünf Stunden.« Doris musste sich anstrengen, um mit normaler Stimme antworten zu können. »Ich habe keine Kondition mehr. Machst du das öfter?«
Scheinbar mühelos hatte Katja ihren Rhythmus gefunden und lief mit gleichmäßigen Bewegungen los. »Ich laufe jeden Tag. Entweder draußen oder so. Ich hatte nur keine Lust, auf der Promenade am Wasser zu joggen. Ich muss mir erst mal eine Strecke suchen. Und du?«
»Nie.« Doris stellte das Gerät aus und ließ sich schwer ausatmend auf dem Boden in die Hocke sinken. »Ich bin fertig. Das ist nicht meine Art von Sport.«
Katja trat leichtfüßig weiter und sah sie belustigt an. »Gehörst du zur Yoga- und Pilates-Front? Wie Anke? Das wäre |88| mir zu langweilig. Ich mache das ab und zu gegen meine Rückenschmerzen, aber eigentlich ist es öde.«
»Ist es auch.« Doris zog ihre Beine an. »Ist Anke zum Yoga an den Strand gegangen? Vielleicht hätte ich doch mitgehen sollen, dann wäre ich nicht an dieser Maschine gescheitert. Das ist so frustrierend.«
»Warum machst du es dann?«
Doris streckte ihre Beine von sich und griff mit den Händen in das Fleisch ihrer Oberschenkel. »Weil alles wabbelig wird und aus der Form läuft. Ich hasse es.«
»Ach, Doris.« Katja stellte eine Stufe schneller. »Du machst dir aber auch dein Leben schwer. Nimm dir doch einen Personal-Trainer. Die sind meistens ganz süß, meine Freundin Elena hat mit ihrem acht Kilo abgenommen und auch gleich eine flotte Affäre mit ihm angefangen. Und so teuer ist das auch nicht.«
»Ich will keine Affäre.«
»Dann nimmst du eben nur acht Kilo ab. Wobei du das nicht brauchst. Aber das glaubst du mir vermutlich sowieso nicht.«
»Ich will nur fit werden. Und wieder in Größe 38 passen.« Plötzlich fiel Doris der gestrige Abend wieder ein. »Was hältst du denn von Ankes Geschichte? Das war doch furchtbar. Wir müssen noch mal mit ihr darüber reden. Vielleicht braucht sie Hilfe.«
Katja lief immer schneller, ihrer Atmung merkte man nichts an. Sie hatte noch nicht einmal ein gerötetes Gesicht. In genau diesem Moment fühlte Doris eine Hitzewelle anrollen. Der Schweißfilm, den Katja eigentlich haben müsste,
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