Bei Rotlicht Mord
Fußgelenken
gefesselt, und sie rührte sich nicht. Nicht mehr als ein Stück kaltes Rindfleisch.
Ich wich zurück. Zu spät! Jemand stand
zwischen mir und der inzwischen wieder geschlossenen Tür und versperrte mir den
Weg.
Und ein großer schwarzer Vogel hüllte
mich in seine duftenden Flügel, nachdem man mir einen Lappen, der mit einem
ganz beschissenen Zeug getränkt war, vors Gesicht gedrückt hatte.
Ich war mißtrauisch gewesen, aber
nicht mißtrauisch genug!
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Tausend Geräusche dröhnten in meinem
Kopf. Sie wurden allerdings von einem Rauschen überlagert, das sich wie das
romantische Klagelied des Herbstwindes in den Kronen hoher Bäume anhörte.
Soweit ich es beurteilen konnte, saß ich in einem schrottreifen Sessel mit
angriffslustigen Sprungfedern. Meine Arme hingen an meinem Körper herab. Mit
größter Anstrengung gelang es mir, sie zu bewegen und meine Hände auf meine
Oberschenkel zu legen. Die Zeiger meiner Armbanduhr waren auf fünf nach zehn
stehengeblieben.
„Er wacht auf“, sagte eine Stimme.
„Bearbeiten wir ihn?“ schlug eine
andere vor.
„Lassen wir der Natur ihren Lauf“,
entschied eine dritte Stimme, die dumpf von weither kam.
Ein, zwei Minuten versanken in der
Ewigkeit. Ganz langsam hob ich den Kopf.
Ich spürte, daß hinter mir jemand
stand. Aber, verdammt nochmal, ich wollte ihn mir etwas genauer ansehen! Mein
Kinn von meiner Brust zu heben, bereitete mir schon genug Mühe. Schließlich
gelang es mir, meinen Kopf in einem halbwegs normalen Winkel zu halten und
geradeaus zu sehen. Mein Blick fiel zuerst auf einen wackligen, niedrigen Tisch,
auf dem der Inhalt meiner Brieftasche ausgebreitet lag. Hinter dem wackligen
Möbelstück, in dem gelblichen Lichtkegel einer mit einem riesigen, aber
löchrigen und schief aufgesetzten Schirm versehenen Stehlampe, wurde ein
weiterer Sessel sichtbar; und in dem Sessel saß jemand.
Der Mann war kräftig, wahrscheinlich
sehr groß, gut gekleidet und wohlgenährt, und er wog so einige Kilos. In seiner
Rechten schimmerte der blanke Stahl einer großkalibrigen Kanone.
So flink wie ein alter Schuh wanderte
mein unsicherer Blick von der Waffe zu dem Gesicht dessen, der sie in der Hand
hielt. Der Weg führte über den Ärmel eines eleganten Glencheck-Jacketts und
über einen italienischen Kragen.
Für einen Moment blieb mir die Spucke
weg. Was sollte der Quatsch? Träumte ich, oder wurde ich ganz langsam verrückt?
Ja, das Fernsehen! Es verfolgt einen überallhin...
Der Kerl mir gegenüber, der mit einem
Revolver direkt auf meinen Kopf zielte, war... war Léon Zitrone!
* * *
Jedenfalls glaubte ich das im ersten
Augenblick. Man muß bedenken, daß ich gerade erst aus einem tiefen
Chloroformschlaf erwacht war und noch nicht klar gucken konnte. Allerdings
verbesserte sich mein Zustand. Ich begriff, daß ich nur eine Maske aus
Pappmache vor mir hatte, eine ganz gewöhnliche Karnevalsmaske! Der Kerl mit dem
Revolver hatte sie sich aufgesetzt, bevor man mich zu ihm geschleppt hatte. Das
ließ immerhin auf eines schließen: Das Gesicht des Mannes mußte mir bekannt
sein. Nur das Gesicht, denn ich konnte noch so sehr in meinem Gedächtnis
kramen, ich erinnerte mich an niemand in meinem Bekanntenkreis, der so groß und
kräftig war wie mein Gegenüber.
Als ich an diesem Punkt meiner
Überlegungen angelangt war, sprach der Kerl mich an.
„Wie fühlen Sie sich?“ erkundigte er
sich mit einer Höflichkeit, die mich überraschte.
Seine Stimme wurde von der Maske
gedämpft und war schwer zu identifizieren. Ich versuchte es erst gar nicht.
„Nicht besonders munter“, gestand ich.
Meine Stimme klang belegt, und ich
konnte sie ebenfalls kaum wiedererkennen.
„Vielleicht möchten Sie etwas
trinken?“
Er war wirklich die Höflichkeit in
Person. Fehlte nicht viel, und er hätte mir eine Striptease-Tänzerin angeboten.
„Ja, gerne“, antwortete ich auf seine
Frage.
Er machte ein Zeichen mit der Hand.
Hinter mir bewegte sich jemand. Ich hörte, wie die Tür geöffnet und wieder
geschlossen wurde. Irgendwo gluckste es in der Wasserleitung. Kurz darauf
wieder Geräusche an der Tür, und eine ziemlich dreckige Hand reichte mir ein
nicht sehr sauberes Glas. Ich hielt es einen Moment lang zögernd in der Hand.
„Es ist kein Zyanid drin“, lachte der
Mann mit der Léon-Zitrone-Maske.
Ich trank. Es schmeckte nach gutem
Weinbrand mit Wasser. Ich ließ das Glas sinken. Die dreckigen Finger nahmen es
mir
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