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Bei Rotlicht Mord

Bei Rotlicht Mord

Titel: Bei Rotlicht Mord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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sein, aber dann hab
ich den Gedanken wieder aufgegeben.“
    „War Henri ein Mann, der Selbstmord
begeht?“
    „Nein. Selbstmord ist ein feiger Akt,
doch man braucht trotzdem einen gewissen Mut, wenn Sie verstehen, was ich
meine... Und Mut hatte Henri in keiner Beziehung. Das war einfach nur so eine
Idee von mir.“
    „Einfach nur so, ohne einen bestimmten
Grund?“
    „Um offen zu sein, nicht ganz ohne
Grund. Wissen Sie, in der letzten Zeit unseres Zusammenlebens war er mir schon
etwas seltsam vorgekommen. Ich hielt es für möglich, daß er völlig verrückt
geworden sei und sich vielleicht in einem Moment geistiger Umnachtung ins Feuer
gestürzt habe. Als er starb, lebten wir seit neun Monaten getrennt.“
    „Was war Ihnen vorher seltsam
vorgekommen? Sein Verhalten, seine Art zu reden?“
    „Beides. Manchmal wirkte er
verängstigt, und dann wieder, am nächsten Tag, schäumte er über vor
Fröhlichkeit. Ohne erkennbaren Grund. So verhält sich niemand, der ausgeglichen
ist. Einmal, kurz vor unserer Trennung, im November oder Dezember 1962, hab ich
gesagt, um ihn zu verletzen, daß er immer ein ganz armer Schlucker, ein
Habenichts sein werde, daß er einem Lechanin nie das Wasser werde reichen
können, einem seiner ehemaligen Kollegen, der ein bekannter Produzent und
Regisseur geworden war. Henri lachte wie ein Irrer, nannte mich eine blöde Kuh
und redete unzusammenhängendes Zeug. Schrie herum, so Typen wie Lechanin könne
er allemal in die Tasche stecken, wenn er wolle, und bald werde es sich zeigen,
wer der Schlauere von ihnen beiden sei, er oder Henri.“
    „Er oder Henri? Eine seltsame
Ausdrucksweise! Redete er von sich selbst in der dritten Person?“
    „Mit Henri meinte er Lechanin. Der
heißt nämlich auch Henri.“
    „Ah ja... Und weiter?“
    „Na ja, ich sagte zu ihm: ,Henri und
du, ihr seid zwei!’ Ich fand die Bemerkung sehr witzig und hab dazu gegrinst.
Ach, Monsieur! Wenn Sie ihn gesehen hätten! Er wurde fuchsteufelswild, stürzte
sich auf mich und schrie: ,Was sagst du da?!“ Er hat mich geohrfeigt, und dann,
beinahe genauso plötzlich, wie er sich erregt hatte, beruhigte er sich wieder.
Murmelte ein paarmal: ,Henri und ich, wir sind zwei!’, nannte mich wieder eine
blöde Kuh und fing an zu lachen, zu lachen! Jetzt war es wirklich das Lachen
eines Irren. Dann ist er weggegangen, immer noch lachend, und erst zwei Tage
später wieder zurückgekommen. Ich erinnere mich an den Vorfall in all seinen
Einzelheiten, weil ich ihm kurz darauf die Trennung vorschlug. Er hat sofort
zugestimmt.“
    „Ja, ja“, stimmte auch ich zu. „Er ist
also zwei Tage später zurückgekommen. Lachte er da immer noch?“
    „Nein, ganz im Gegenteil! So als hätte
er Angst gehabt...“
    „Angst, daß Sie ihn mit dem Besenstiel
in der Hand empfangen könnten?“
    „Oh, nein! Es war diese Angst, die er
hin und wieder mal hatte... und für die es offenbar nur eine Erklärung gab:
geistige Verwirrung. Es sei denn...“
    „Es sei denn?“
    „Ich frage mich, ob sein Umgang mit
gewissen Leuten... Sehen Sie, ich habe ihn als feige und gemein beschrieben.
Aber er war in gewissem Sinne auch ein armer Teufel. Seine Liebesabenteuer
verliefen nicht immer so, wie er sich das vorstellte. Und da er eher schmächtig
war, ein Hänfling... Ich erinnere mich, daß er einmal mit einem ganz
verschwollenen Gesicht von Dreharbeiten in der Provinz zurückkam. Zu der Zeit
war ich noch naiv, es war kurz nach unserer Hochzeit. Ich fragte ihn, warum
sein Gesicht so verschwollen sei. Er fluchte und schimpfte, brüllte, er sei
beleidigt worden, aber das lasse er sich nicht bieten, er werde sie alle
umbringen usw. Worte, nichts als Worte, sicher; doch er sagte das in einem Ton!
An jenem Tag ahnte ich, wie bösartig er war. Um wieder auf seinen zweifelhaften
Umgang zu sprechen zu kommen... Da gab es diesen jungen Strolch, den er einmal
mit nach Hause gebracht hat, hierher, sechs oder acht Monate nach jener
Geschichte...“
    „Ein Strolch?“
    „Ja, ein kleiner Gauner. Roger hieß
er. Blieb drei oder vier Tage bei uns, während er auf Arbeit oder so was
wartete. Arbeit! Möchte wissen, wie er welche finden wollte! Er wohnte nämlich
in dem kleinen Zimmer am Ende des Korridors und rührte sich sozusagen nicht vom
Fleck. Und dann plötzlich, von einem Tag auf den andern, verschwand er, ohne
Ankündigung. Eine wahre Erlösung! Nicht daß er mir gegenüber unverschämt
geworden wäre, das nicht. Aber, na ja... Ich konnte gut auf seine

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