Bei Rotlicht Mord
mich wohl damit abfinden.
Angela sah von ihrem Buch auf und
schenkte mir eins ihrer reizenden Lächeln.
„Paris wird traurig sein“, sagte ich.
„Sie strafen seine Reize mit Nichtachtung.“
„Ich habe die Absicht, heute
nachmittag auszugehen“, erwiderte sie. „Möchten Sie mich begleiten?“
„Nein, ich muß noch über vieles
nachdenken.“
Ich ging in mein Zimmer zurück,
zündete mir eine Pfeife an, legte mich aufs Bett und hüllte mich in Tabakrauch.
Was würde sich wohl am Ende des
Schlüsselanhängers befinden? Vielleicht ein Schlüssel. Vielleicht aber auch
nicht. Sollte sich ein Schlüssel... Bastous Gelächter klang in meinen Ohren.
„Sagen Sie mal, wie lange wollen Sie eigentlich leben? ... Da drin liegt ‘n
ganzer Haufen Schlüssel, und wenn Sie die entsprechenden Schlösser dazu finden
wollen...“
Ja, Roger hatte recht gehabt. Er hatte
logisch gedacht. Vivonnet & Co. dachten ebenfalls logisch. Deswegen
hatten sie sich allem Anschein nach nicht besonders um die Schlüssel gekümmert,
als sie Madame Dolguet besucht und ihre Wohnung durchwühlt hatten. Schlüssel
ohne Schlösser interessierten sie nicht. Schlösser ohne Schlüssel schon eher.
Logisch? Die Schlüssel interessierten
sie nicht. Dagegen konnte man sie mit einem Gepäckaufbewahrungsschein schon
eher locken. Vivonnet & Co. sahen die Dinge so, wie sie waren: Ein
Mann, der einen Koffer mit Schmuck im Wert von dreihundert Millionen zur
Gepäckaufbewahrung gibt, ist im Besitz eines Gepäckaufbewahrungsscheins. Nur
befand sich ein solcher Schein, wenn er denn existierte, weder in der Rue
d’Alésia noch in der Rue Saint-Benoît. Dolguet hatte sich offenbar nicht von
ihm getrennt. Schlußfolgerung: Der Schein war zusammen mit ihm geröstet worden.
Gepäckaufbewahrungsscheine sind leicht brennbar...
Zum ersten Mal malte ich mir in
Gedanken die Arbeitsmethode der Gangster aus. Wie konnten sie unter diesen
Umständen darauf hoffen, jemals zu der Beute zu gelangen? Durch ein Wunder?
(Oh, kartesianische Logik!) Also, ich glaubte, die Antwort war ganz einfach.
Nehmen wir einmal Bastou. Er erwartete
nichts mehr. Da sich die Juwelen nicht in der Rue d’Alésia befanden, wußte er
nicht, wo man noch suchen sollte. Er wurde versorgt, hatte ein Dach über dem
Kopf und ließ es sich, trotz einiger unangenehmer Begleiterscheinungen,
gutgehn. Erst als die Situation für ihn brenzlig wurde, machte er sich aus dem
Staub.
Vivonnet dagegen wartete darauf, daß
Bastou unter Drogeneinfluß irgendwann wertvolle Hinweise liefern würde, die er
zuvor verschwiegen hatte. Man konnte es die „Methode Vivonnet“ nennen. Der
Gangster war aktiv geworden, als ich auf der Bildfläche aufgetaucht war. Hatte
sich ausgemalt, daß ich etwas Genaueres über den Verbleib der Juwelen wüßte und
es ihm verraten würde. Soweit die Methode Vivonnet.
Und nun zu den Schlüsseln.
Wenn Sie die entsprechenden Schlösser
finden wollen...
Richtig, mein kleiner Logiker! Mit den
Schlüsseln, die in dem Schrank von Françoise Pellerin herumliegen, ist nicht
viel anzufangen. Das sind ganz gewöhnliche Schlüssel, die genausogut zu einer
Kommode wie zu einem Büfett, zu einem Kaninchenstall wie zu einem Keller passen
können. Doch es gibt noch andere Schlüssel. Und vielleicht hängt der richtige
am Ende des Schlüsselanhängers, der das Feuer überlebt hat. Der Schlüssel zu
einem Banksafe, versehen mit dem Namen der Bank. Warum nicht? Ja, ja, ich weiß.
Man wird einwenden: „Warum grade an diesem Anhänger?“ Nun also... eine Idee...
Intuition... Alles andere als logisch. Wie gesagt, an dem Anhänger kann
genausogut der Schlüssel zu seinem Banksafe wie überhaupt nichts hängen. Ich
jedenfalls glaube an den Safeschlüssel.
Es sei denn...
Vivonnet weiß, wie ein Safeschlüssel
aussieht. Er hat die Wohnung in der Rue d’Alésia durchsucht, hatte die
persönlichen Dinge von Henri Dolguet in der Hand. Einen Safeschlüssel hätte er
nicht liegenlassen.
Falsch, Nestor! Einen Safeschlüssel
wirst du nicht am Ende des Schlüsselanhängers finden. Nichts wirst du finden,
nicht die Bohne!
Es sei denn...
Schließlich gibt es nicht nur
Banksafeschlüssel!
Ich legte meine Pfeife zur Seite.
Vor mir stand Dolguet mit dem
arroganten Lächeln eines Frauenlieblings und seiner albernen Weste. Er streckte
mir die Hand entgegen, auf der ein Schlüssel lag. Ein Schlüssel, den ich nicht
genau erkennen konnte, aber das war nicht so wichtig. Im Schein der Flammen
leuchtete er
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