Bei Tag und bei Nacht
schließlich. Sie hatte mehr dem Klang von Grants Stimme gelauscht als seinen Worten. Sie schloss die Augen, und langsam stellten sich Erinnerungen wieder ein …
»Oh Gennie, du hättest dort sein sollen!« Angela drehte sich auf ihrem Sitz zur Schwester um, lebhaft und lachend wie immer. Gennie lenkte den Wagen durch den aufkommenden Verkehr in der Innenstadt von New Orleans. Die Straßen waren feucht von unangenehm kaltem Februarregen, aber nichts konnte Angelas Laune dämpfen. Sie war Sonnenlicht und Frühlingsblume in einem.
»Ich wäre auch lieber zu dieser Einladung mitgegangen, als in New York zu erfrieren«, gab Gennie zurück.
»Wie kann man frieren, wenn man im Rampenlicht badet!«, schwärmte Angela und rückte noch näher.
»Wollen wir wetten?«
»Du erlebst so aufregende Dinge, Gennie.«
»Erzähl mir von deiner Party.«
»Es war fantastisch! Der Lärm und die Musik. Es war so voll, dass man keinen Schritt tun konnte, ohne jemanden anzurempeln. Wenn Cousin Frank wieder eine Party auf seinem Hausboot schmeißt, musst du kommen.«
Gennie warf der jüngeren Schwester einen belustigten Blick zu. »Es hört sich nicht an, als wäre ich vermisst worden.«
Angelas helles Lachen wirkte ansteckend. »Nun, ich wurde ein wenig müde vom Beantworten all der Fragen nach meiner talentierten Schwester.«
Gennie schnaubte verächtlich, während sie vor der roten Ampel an einer Kreuzung hielt. Die Scheibenwischer verzerrten das Licht durch ihr schnelles Hin-und-Hergleiten. »Das ist nur ein vorgeschützter Grund, um sich an dich ranzumachen.«
»Na, ja. Einer war dort …« Angelas Stimme versiegte, und Gennie blickte erstaunt zu ihr hin. Wie schön sie doch ist! dachte sie. Wie Milch und Honig – und die großen, lebhaften Augen.
»Einer?«
»Oh Gennie!« Angelas Wangen glühten vor Aufregung. »Er ist wundervoll. Ich konnte kaum einen verständlichen Satz herausbringen, als er mich ansprach.«
»Du?«
»Ja, ich. Mir war, als ob mein Kopf plötzlich leer wäre. Und seitdem haben wir uns eine Woche lang täglich getroffen. Ich glaube, ich bin verliebt.«
»Schon nach einer Woche?«, wunderte sich Gennie.
»Nach fünf Sekunden! Sei nicht so nüchtern, Gennie. Ich habe mich verliebt. Du musst ihn kennenlernen.«
Gennie legte den ersten Gang ein und wartete auf grünes Licht. »Soll ich ihn begutachten?«
Angela schüttelte ihr langes goldblondes Haar und lachte, während die Ampel auf Grün schaltete. »Ich fühle mich herrlich, Gennie, rundherum glücklich.«
Ihr Lachen war das Letzte, was Gennie hörte, bevor das Kreischen von Bremsen ertönte. Sie sah den Wagen, wie er über die Kreuzung rutschte. Im Traum ging das ganz langsam, wie in entsetzlich grausamem Zeitlupentempo. Wasser sprühte in glitzernder Fontäne und schien in der Luft hängen zu bleiben.
Es gab keine Spanne Zeit für einen Atemzug, keine Zeit, zu reagieren oder etwas zu verhindern, bevor das Geräusch von Metall, das auf Metall stieß, die Explosion blendender Blitze alles auslöschte. Grauen. Schmerz. Und Dunkelheit.
»Nein!« Gennie fuhr hoch, starr vor Furcht und Schock. Arme umfingen sie, hielten sie fest … sicher. Grillen? Wo kamen die her? Die Scheinwerfer, der Wagen. Angela.
Gennie rang nach Luft und starrte zur nächtlichen Bucht, während Grants Stimme ihr irgendetwas Beruhigendes ins Ohr murmelte.
»Es tut mir leid.« Sie machte ein paar Schritte von ihm weg und fuhr sich nervös mit den Händen durch das Haar. »Ich muss eingeschlafen sein. Reizende Gastgeberin«, versuchte sie zu scherzen. »Du hättest mich anstoßen sollen und …«
»Gennie.« Er erhob sich und griff nach ihrem Arm. »Hör auf damit!«
Sie krümmte sich, verlor ihre Selbstbeherrschung. Grant hatte das nicht erwartet und konnte sich nicht dagegen schützen. »Gennie, weine nicht. Es ist ja jetzt alles vorbei.«
»Oh Gott, mir ist das seit Wochen nicht mehr passiert.« Sie barg ihren Kopf an seiner Brust, während der Schmerz sie überfiel, als wären seitdem nicht viele Monate vergangen. »Zuerst, gleich nach dem Unfall, habe ich noch einmal alles durchlebt, sobald ich nur die Augen schloss.«
»Komm.« Er küsste sie auf die Stirn. »Setz dich.«
»Nein, das kann ich nicht. Ich muss laufen.« Eine Sekunde noch klammerte sie sich an Grant, als wollte sie Kraft sammeln. »Können wir einen Spaziergang machen?«
»Sicher.« Er trat an Gennies Seite und öffnete die Gartentür. Eine Zeit lang sagte er nichts, hatte den Arm fest um ihre
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