Bei Tag und bei Nacht
Genevieve.« Er griff nach der Flasche und schenkte die handfesten Wassergläser, die Gennie eigentlich für andere Zwecke erstanden hatte, wieder voll. »Ich habe mich schon gewundert, dass ein Mädchen wie du, mit einem Haufen Dienerschaft groß geworden, ein Steak zu grillen versteht.« Er lächelte breit und dachte an seine Schwester Shelby, die nur dann selbst kochte, wenn ihr gar nichts anderes übrig blieb.
»Erstens«, erklärte Gennie, »haben wir Picknicks von jeher als Familienangelegenheit betrachtet. Zweitens muss man es lernen, wenn man allein lebt, oder man ist auf Restaurants angewiesen.«
Grant konnte der Versuchung nicht widerstehen, sie ein wenig zu ärgern. »Du wurdest in oder vor fast jedem Restaurant der freien Welt fotografiert.«
Ungerührt blinzelte Gennie ihm über den Rand ihres Glases hinweg zu und fragte mit Unschuldsmiene: »Lässt du dir deshalb ein Dutzend Zeitungen schicken? Damit du weißt, wie die Leute leben, während du dein Einsiedlerdasein fristest?«
Grant überlegte einen Augenblick. »Jaaa.« Besser hätte er es nicht auszudrücken vermocht.
»Findest du nicht, dass das ein arroganter Standpunkt ist?«
Wieder überlegte er die Antwort, blickte in den tiefroten Wein in seinem Glas. »Jaaa.«
Gennie musste lachen. »Grant! Was hast du gegen deine Mitmenschen?«
Verblüfft sah er Gennie an. »Gegen einzelne überhaupt nichts, auch manchmal nicht gegen Mitmenschen im Allgemeinen. Sie sollen mich nur nicht bedrängen.«
Das war ehrlich gemeint, erkannte Gennie und erhob sich, um den Tisch abzuräumen. Er war nur schwer zu verstehen. »Möchtest du niemals in einer Menge stehen? Nie das Gewirr von unzähligen Stimmen hören?«
Davon hatte ich mehr als genug, dachte Grant bitter, und ich war damals noch keine siebzehn. Vielleicht brauche ich aber gelegentlich auch heute noch menschliche Nähe mit allen Fehlern und Komplikationen – für meine Arbeit und für mich selbst. Er erinnerte sich an die Woche bei den MacGregors. Es war schön dort gewesen, allerdings war ihm das erst richtig aufgefallen, als er wieder in seinen Leuchtturm zurückgekehrt war.
»Ich habe meine schwachen Momente«, murmelte er. Dann stand er auf und trug ganz selbstverständlich das Geschirr zum Spültisch, während Gennie heißes Wasser einlaufen ließ. »Gibt es keinen Nachtisch?« Sie warf ihm über die Schulter einen Blick zu, um sicherzugehen, dass er die Frage ernst meinte. Sein Appetit ähnelte dem eines Schwerarbeiters, trotzdem war er schlank und sportlich. Nervöser Kräfteverbrauch? Stoffwechselstörungen? Sie schüttelte den Kopf und beschloss, sich nicht darum zu kümmern. »In der Truhe liegt eine Packung Eis.«
Grant bediente sich und fragte freundlich, ob Gennie auch etwas haben wolle.
»Nein. Isst du davon, weil du noch hungrig bist, oder versuchst du, dich dadurch vorm Abtrocknen zu drücken?« Sie wies auf den Stapel tropfnassen Geschirrs.
»Sowohl als auch.«
Grant lehnt sich gegen den Tisch und löffelte sein Eis. »Als Kind konnte ich Unmengen davon vertilgen.« Gennie ließ sich nicht beim Abwasch stören. »Und jetzt?«
Gemächlich aß Grant weiter. »Du hast ja nur diese eine Packung.«
»Ein höflicher Mensch würde etwas abgeben.«
»Ja?«
Lachend spritzte Gennie mit Wasser nach Grant. »Mach schon!«
Langsam schob er ihr eine Kostprobe vor die Lippen, aber nicht nahe genug. Gennie hatte ihre Arme im Seifenwasser und öffnete bereitwillig den Mund. »Nur nicht gierig werden«, mahnte er und zog die Hand zurück. Aber Gennie war schneller, flink beugte sie sich vor und erwischte noch ein bisschen vom Schokoladeneis.
»Das reicht mir schon«, rief sie lachend. »Du kannst den Rest haben. Bei Schokoladeneis kann ich nur schlecht widerstehen.«
Grant schleckte weiter. »Gibt es noch andere … Schwächen?«
Gennie fühlte, wie ihr heiß wurde, und sie ging auf die offene Veranda zu. »Einige wenige.« Sie seufzte, als sie das Zwitschern der Schwalben vernahm, die in ihre Nester zurückkehrten. »Die Tage werden kürzer«, murmelte sie.
Die untergehende Sonne hatte den Rand der Wolken bereits in rotgoldenen Glanz getaucht. Letzte dünne Rauchfahnen stiegen aus dem Grill. Am Rande der Bucht stand ein dürrer Busch. Die wenigen Blätter waren bereits verfärbt.
Als Grant seine Hände auf ihre Schultern legte, lehnte sie sich unwillkürlich zurück. Zusammen und schweigend betrachteten sie den Anbruch der Nacht.
Grant konnte sich nicht erinnern, wann er mit
Weitere Kostenlose Bücher