Bei Tag und bei Nacht
finden? Die Zeit, die sie ihm stahl, würde er später nachholen müssen. Doch der erste Ärger war vorüber, und Grant hatte sich damit abgefunden. Eine heiße Mahlzeit und ein schützendes Dach musste er ihr anbieten, aber dabei sollte es bleiben.
Wie sie ausgesehen hatte, als sie nass und zitternd auf dem alten Sofa kauerte. Er musste lächeln. Diese Lady war kein Schwächling – glücklicherweise! Denn für solche hatte Grant sehr wenig übrig.
Wenn er Gesellschaft suchte, dann bevorzugte er das Zusammensein mit Menschen, die ihre eigene Meinung sagten und auch dazu standen. Dadurch war erst kürzlich sein selbst auferlegter Zeitplan durcheinandergeraten.
Vor knapp einer Woche war er aus Hyannis Port wiedergekommen. Dort hatte seine Schwester Shelby geheiratet. Grant hatte sie dem Bräutigam Alan MacGregor bei der Zeremonie übergeben. Zu seinem unbehaglichen Erstaunen waren diese Feierlichkeiten ihm mehr als erwartet unter die Haut gegangen. Die MacGregors gefielen ihm, sie hatten keine Mühe, ihn zu überreden, ein paar Tage länger bei ihnen zu bleiben. Besonders der polternde, mächtige Daniel MacGregor war als Familienoberhaupt sehr beeindruckend gewesen. Dabei schloss Grant sich wirklich nicht so leicht an jemanden an. Schon seit seiner Kindheit war er in dieser Beziehung sehr zurückhaltend. Die Familie MacGregor jedoch erwies sich als einfach unwiderstehlich.
Natürlich wäre es die Aufgabe seines Vater gewesen, Shelby dem Ehemann zuzuführen. Aber er war tot, und Grant musste seinen Platz einnehmen. So mischten sich schmerzliche Erinnerungen mit der glücklichen Gegenwart. Das Zusammensein mit den MacGregors lenkte Grant wohltuend von trüben Gedanken ab, und er kehrte entspannt nach Windy Point zurück. Sogar Daniels neugieriges Eindringen in seine geheiligte Privatsphäre hatte Grant amüsiert geduldet. Er war selbst überrascht, wie sehr er sich über eine Einladung zum Wiederkommen freute.
Grants Arbeit war dadurch allerdings liegen geblieben, doch das würde sich trotz dieser erneuten kurzen Unterbrechung aufholen lassen. Für den Rest der Nacht konnte der ungebetene Besuch im Gästezimmer untergebracht werden. Morgen würde Grant sich des Mädchens, so schnell es ging, entledigen.
Trotz des Sturmes und dem Brausen der Wellen hörte Grant Gennie kommen. Er drehte sich um und wollte sie mit einer nichtssagenden Bemerkung begrüßen, aber ihr Anblick wirkte wie ein Schlag unter die Gürtellinie.
Verdammt, diese Frau war schön! Zu schön für sein seelisches Gleichgewicht. Ihre zierliche Gestalt versank beinahe in seinem großen Bademantel, die Ärmel hatte sie fast bis zu den Ellbogen aufgerollt. Das verblichene Blau betonte den honiggelben Schimmer ihrer Haut, und feuchtes, streng zurückgebürstetes Haar umrahmte ihr Gesicht, nur an den Schläfen kringelten sich ein paar widerspenstige Locken. Die blassgrünen Augen hinter tiefschwarzen Wimpern erinnerten ihn wieder an eine Meerjungfrau.
»Setzen Sie sich!«, sagte er barsch. Er war wütend auf sich selbst, weil er Gennie so begehrenswert fand. »Sie können einen Teller Suppe essen.«
Gennie zögerte und musterte die ihr zugekehrte Rückenansicht, doch dann setzte sie sich. »Besten Dank.«
Unverständliches Gemurmel war die Antwort, und ein Teller mit dampfender Suppe landete unsanft vor ihr auf dem einfachen Holztisch. Gennies Hunger siegte über ihren Stolz, und sie griff nach dem Löffel. Erstaunlicherweise nahm Grant ihr gegenüber Platz und aß ebenfalls.
In der kleinen, hell erleuchteten Küche war es sehr ruhig. Nur das Getöse der aufgebrachten Naturgewalten unterbrach gelegentlich die Stille. Zunächst hielt Gennie ihren Blick trotzig auf den Teller gerichtet, doch dann sah sie sich um. Jeder Winkel hier wurde vortrefflich genutzt, eingepasste Hängeschränke aus Eichenholz boten reichlich Platz für Geschirr und Töpfe. Die Arbeitsfläche war aus dem gleichen Material, jedoch glatt gehobelt und poliert. Eine Kaffeemaschine und ein Toaster sorgten für modernen Komfort.
In seiner Küche hielt Grant offensichtlich mehr Ordnung als in den übrigen Räumen. In der Spüle standen weder schmutzige Tassen, noch bemerkte Gennie Staub oder Flecken auf dem Boden. Es roch appetitlich nach Suppe und Kaffee. Nachdem der größte Hunger gestillt war, verflog ihr Ärger.
Schließlich war sie ziemlich unvermittelt in sein Privatleben eingedrungen. Und einen Fremden mit offenen Armen zu empfangen und ihm Gastfreundschaft zu gewähren war
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