Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
Brauen zu einer komischen Grimasse zusammen. »Nee, nicht dass ich wüsste. Ich
habe noch nicht das Vergnügen gehabt.«
»Kennen
Sie Lucy gut?«
»Ja, schon
… Früher haben wir oft gemeinsame Schichten gefahren. Heute komme ich meistens erst,
wenn sie schon geht. Ich arbeite jetzt weniger wegen der Kinder.«
»Gut, dann
begleiten Sie mich bitte in das Büro des Chefs, ich würde Sie gerne befragen.«
Sie stand
auf und zog ihren Rock zurecht. Die Geste, mit der sie ihr Headset hinlegte und
ihr Haar hinter das Ohr strich, wirkte mit einem Mal nervös.
»Nach Ihnen«,
sagte er und beobachtete, wie sie mehrere Kolleginnen ansah, bevor sie die Glastür
zu Dürrbiers Büro öffnete.
»Abgesperrt«,
stellte sie fest.
»Gut, dann
lassen Sie uns dort hinten hingehen, wo niemand sitzt.«
Sie zogen
sich an den äußeren Rand des Raums zurück, und er stellte die üblichen Fragen.
Kannte sie
Lucy als ausgeglichene Persönlichkeit?
Blieb Lucy
immer freundlich?
Oder neigte
sie auch mal zu Wutausbrüchen?
Nach anfänglichem
Zögern ließ die müde wirkende Frau sich zum Plaudern hinreißen und verfiel dabei
in den saarländischen Dialekt. »Eigentlich is es Lucy ganz in Ordnung. Ma muss bloß
aufpasse, dass man’s nit ärgert, dann kann’s nämlich ganz schön austicke. Also,
ich möcht’ ihm nit in die Füß kumme, wenn es sauer is.«
Innerlich
seufzte Frank. Sagte sie die Wahrheit oder sprach aus ihr vielmehr eine Art Missgunst?
»Haben Sie schon mal miterlebt, dass sie einem Kunden gegenüber ausfallend geworden
ist?«
»Ja, klar.
Aber das is natürlich alles schon länger her. Wie gesagt, wir sehn uns nur noch
selten. Es hat auch schon mol gedroht.«
»Wie, gedroht?«
»Na ja,
es hat mol gesagt: ›Wenn ich kinnt, wie ich wollt, dann …‹«
»Sagen wir
das nicht alle mal? Wieso betrachten Sie das als Drohung?«
Sie zuckte
mit den Schultern. »Also, ich han so ebbes noch nie gesagt … Aber da kommt’s ja.«
Ihr Blick ging zum Fahrstuhl, Frank drehte sich um.
Tatsächlich,
da hastete sie zu ihrem Arbeitsplatz. Ihn und ihre Kollegin nahm sie nicht wahr.
Er beobachtete, wie sie ihre Tasche abstellte und sich setzte, den Rechner einschaltete
und auf den Bildschirm starrte. Dann setzte sie ihr Headset auf. Sie stach aus den
Mitarbeiterinnen eindeutig hervor, weil sie sportlich gekleidet war. Sie wirkte
ein wenig müde. Anscheinend hatte sie sich abgehetzt, um noch einigermaßen pünktlich
zu erscheinen.
»Ich danke
Ihnen, Sie können wieder an Ihren Platz gehen«, sagte Frank zu der Frau und folgte
ihr durch den Raum bis zu Lucys Schreibtisch. Während er sich ihr näherte, beobachtete
er, wie sie gedankenverloren eine Locke an ihrem Hinterkopf um den Finger zwirbelte.
Ihre Haare schienen ein wenig feucht zu sein. Schon aus ein paar Metern Entfernung
konnte er den frischen Duft von ›Coco Mademoiselle‹ riechen. Unwillkürlich sah er
hinunter, welche Schuhe sie trug. Enttäuscht erkannte er flache Leinenturnschuhe,
die die Füße komplett vor seinen Augen verbargen. Ob sie nicht damit rechnete, ihn
heute zu sehen?
Er stutzte.
Mit diesem Gedanken gestand er sich ein, dass sie es wusste. Sie hatte bemerkt,
dass er auf Füße stand, ganz besonders auf ihre – und ihm war es nicht nur egal,
sondern es erfüllte ihn mit freudiger Erwartung.
Er war noch
nicht ganz an ihrem Platz angelangt, da hob sie den Kopf. Hatte sie ihn gewittert?
Ihr Gesicht erstrahlte in einem Lächeln, das jedoch gleich darauf von einem Stirnrunzeln
abgelöst wurde. Sie stand auf. »Frank!«
»Hallo,
Lucy. Ich muss mit dir sprechen. Können wir in einen anderen Raum gehen? Das Büro
ist abgeschlossen.«
»Vielleicht
in die Küche, da könnten wir die Tür zumachen.«
Sie schlängelte
sich hinter dem Schreibtisch hervor und ging mit energischen Schritten voraus zu
einem winzigen Kabuff neben dem Chefbüro. Niemand hielt sich in der Küche auf, die
nicht mehr als ein Abstellraum mit einer Spüle, einem Kühlschrank und einer altmodischen
Kaffeemaschine war. Hier setzte Maurice also den guten Kaffee auf, den er Lucy nach
deren Worten immer brachte, wenn sie einen besonders schlimmen Tag hatte?
Lucy schloss
die Tür zum Großraumbüro, wo die Köpfe einiger Kolleginnen rasch hinter den Bildschirmen
verschwanden. Sofort entstand eine Atmosphäre der Nähe und Abgeschiedenheit. Sie
lehnte sich mit dem Po an die Spüle und verschränkte die Arme vor der Brust. Versuchte
sie, ihn auf Abstand zu halten? Oder drückte die Geste aus, dass
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