Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
Unterlippe vorschiebt. Er würde nichts mehr sagen, das war eindeutig. Aber
Frank würde ihn im Auge behalten, das war ebenfalls eindeutig.
Mit einem Seufzen verließ er das
Kabuff. Er suchte unwillkürlich nach Lucy und entdeckte sie an ihrem Platz. Allerdings
registrierte er auch, dass die Kolleginnen in ihrer Nähe sich zu ihr umgedreht hatten,
und nur eine Sekunde später wusste er auch, warum.
»Verdammt!«,
schrillte Lucy. »Ich muss mir das hier echt nicht mehr anhören. Ich habe die Nase
so gestrichen voll, das kann ich Ihnen gar nicht sagen.«
Sie hielt
inne – anscheinend bot ihr Gesprächspartner ihr Paroli. Frank beschleunigte seine
Schritte, doch Maurice war schneller als er. Wie ein Wiesel huschte der junge Mann
zu Lucys Arbeitsplatz, blieb dann etwa anderthalb Meter von ihrem Stuhl entfernt
stehen und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm. Lucy war anscheinend
so sehr in ihren Streit mit dem Kunden oder der Kundin vertieft, dass sie nicht
bemerkte, wie Frank neben Maurice trat. Maurice zeigte auf den Bildschirm, zog die
Schultern hoch und kniff die Lippen zusammen. Anscheinend hatte er den Namen des
Kunden erkannt.
»Ich weiß
ja auch nicht, warum die Quietschente nicht mehr quietscht. Aber wenn Sie sonst
keine Sorgen haben, dann seien Sie froh! Ist ja wohl das Letzte, dass Sie wegen
so was samstags die Leute belämmern …«
Ihr Gesprächspartner
unterbrach sie offenbar. Lucys Wangen nahmen eine ungesunde Rötung an. »Nein, jetzt
hören Sie mir mal zu, Frau Crumpf-Saitenstecher. Leute wie Sie verderben uns das
Wochenende. Wegen Leuten wie Ihnen müssen wir uns die Feiertage um die Ohren schlagen.
Stecken Sie sich Ihr verdammtes Quietschentchen doch sonst wohin!« Sie pumpte wie
ein Maikäfer. »Was? … Dann soll Ihr verschissener Enkel es sich eben sonst wohin
stecken!«
Heftig drückte
sie auf ihrem Headset herum, aber anscheinend traf sie nicht den richtigen Knopf.
Franks Magen zog sich schmerzhaft zusammen bei ihrem Anblick.
»Nein, es
reicht. Dann zeigen Sie mich eben an. Tschüss!« Endlich fand sie den Knopf, lehnte
sich zurück, zerrte das Headset herunter und legte beide Hände auf den Schreibtisch.
Das Zittern ihrer Arme war nicht zu übersehen. Sie atmete tief ein und aus.
Maurice
stand sofort neben ihr. »Einen frischen Kaffee, Lucy?«
Mit einem
dankbaren Nicken strich sie sich eine Strähne aus der Stirn, dann ruckte sie zu
Frank herum, den sie wohl erst in diesem Moment wahrgenommen hatte. Sie schrak zusammen.
Zog sie auch den Kopf zwischen die Schultern, wie Gollum, wenn Frodo oder Samweis
ihn bei seinen kranken Zwiegesprächen erwischten?
Frank seufzte.
»Was war das denn?« ›Liebes‹, wollte er anhängen, doch er verkniff es sich.
»Das war
die Crumpf-Saitenstecher«, sagte Maurice eilig, »eine böse Frau.«
»Ihr kennt
sie also? Steht sie auf der Horrorliste?«
Lucy schüttelte
matt den Kopf. »Nein, die nicht. Sie bestellt oft und gerne allen möglichen Kram.
Aber sie ist eine notorische Reklamiererin. Und sie ruft am liebsten spät am Abend
an oder eben am Wochenende oder an Feiertagen.«
Frank suchte
auf dem Bildschirm nach der Adresse. Er stöhnte. Die Dame lebte in Creutzwald. Das
lag im angrenzenden Frankreich, nur wenige Kilometer Luftlinie entfernt! Musste
man sich jetzt um ihr leibliches Wohl sorgen?
In seiner
Hosentasche vibrierte das Handy. Eine irre Sekunde lang rechnete er damit, zur verunglückten
Frau Crumpf-Saitenstecher zitiert zu werden, doch als er sich meldete, antwortete
Ellen: »Kannst du nachher mal vorbeikommen?«
»Ähm … ja.
Warum?«
»Ich möchte
noch mal mit dir über uns reden. Du hast doch heute eigentlich frei …« Er glaubte,
einen Vorwurf aus ihrer Stimme herauszuhören.
»Ich bin
zu einem Unfall gerufen worden, und jetzt ermittle ich noch in Saarlouis.«
»Alleine?«
Offiziell
war er gar nicht hier. Frank fand es so mühsam, zu den Außenermittlungen immer jemanden
mitzunehmen. Ellen wusste das natürlich.
»Spielt
das eine Rolle? Ich bin gerade fertig geworden.«
»Gut, dann
kannst du jetzt ja kommen.«
Bei Ellens
Worten sah Frank auf Lucys Scheitel. Sie nahm soeben den ersten Schluck aus der
Kaffeetasse, die Maurice inzwischen gebracht hatte. Ihn drängte es, mit Lucy diesen
Ort zu verlassen, um sich in ausgedehnten Gesprächen davon überzeugen zu können,
dass alles an ihr normal war. Der Anblick ihrer schwarzen Locken rührte ihn. Er
erkannte darin drei einzelne weiße Haare. Eine ungewohnte
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