Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
…?« Ihr Ton klang verletzt. »Bist du jetzt außen vor? Triffst eine
andere, die dir gefällt, und schon spiele ich keine Rolle mehr in deinem Leben?«
Er glaubte,
seinen Ohren nicht zu trauen. Wo war die kühle, stets beherrschte Ellen geblieben,
mit der er stundenlang reden konnte, ohne dass einer den anderen beleidigte? »Zurück
zur Ausgangsfrage. Ob ich dich noch lieb habe. Was meinst du damit? Ob ich dich
noch mag – ja. Lieben?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, ich glaube nicht.«
Sie schluchzte
auf. Er legte eine Hand auf ihre.
»Ellen,
ich verstehe dich nicht. Im Grunde ist das doch längst klar. Deshalb haben wir uns
getrennt.« Außerdem hatten sie erst darüber gesprochen. Erwartete sie, dass er seine
Meinung ändern würde, je öfter sie ihn danach fragte?
»Was soll
ich nur tun?«
»Du solltest
vielleicht mit dem Dieter über deine Gefühle reden.«
»Das haben
wir noch nie getan.«
»Meinst
du das ernst? Wie könnt ihr zusammen ein Kind zeugen, wenn ihr nie über Gefühle
redet?«
»Ach, komm!
Du weißt doch, wie das geht.« Sie sah ihn eindringlich an. »Wenn wir ehrlich sein
wollen, haben du und ich am Anfang auch nicht über Gefühle geredet. Wir hatten Spaß!«
In diesem
Moment drehte sich geräuschvoll der Schlüssel in der Tür. Der Dieter trat herein.
An seinem Gesichtsausdruck erkannte Frank sofort, dass er einen Teil ihres Gesprächs
belauscht hatte. Nun, das war vielleicht das Beste. Wenn die beiden bisher nicht
offen miteinander gesprochen hatten, war es höchste Zeit.
»Was ist
hier los?«, fragte der Dieter misstrauisch.
Frank stand
auf, während Ellen nur widerwillig ihre Hand vom Tisch nahm.
»Du und
Ellen, ihr solltet miteinander sprechen. Und zwar nicht über die zukünftigen Paten
eures Kindes, sondern über euch selbst. Ich glaube, da gibt es einiges zu klären.«
Erschrocken
drehte der Dieter sich zu Ellen. Er runzelte die Stirn, dann beugte er sich über
sie, als sehe er sie zum ersten Mal. »Ist das wahr? Möchtest du mir etwas sagen,
Schnucki?«
Mit Erleichterung
registrierte Frank, dass er sie nicht ›Mamilein‹ nannte. Eigentlich hätte er gerne
das Thema Scheidung noch einmal angesprochen. Aber es schien ihm wieder nicht der
rechte Moment dafür.
Ellen war
bei Dieters Frage in ein leises Schluchzen ausgebrochen. Er ging neben ihr in die
Knie und nahm sie in den Arm. Aus seinem Gesicht sprachen Sorge und Liebe. Beruhigt
ging Frank hinaus und schloss leise die Tür hinter sich.
9
Kein Pardon für Heulsusen
Können Sie sich vorstellen, wie
ich mich inzwischen fühle? Ich weiß überhaupt nichts mehr.
Zum Beispiel,
wo mir der Kopf steht.
Oder wann
ich wo war oder nicht war.
Oder wer
mich in den letzten Tagen und Wochen alles beleidigt hat oder nicht.
Oder wen
ich alles beleidigt habe oder nicht.
Und vor
allen Dingen weiß ich nicht, ob ich all die Leute umgebracht habe – oder nicht.
Das kann
auf Dauer kein Mensch aushalten, oder?
Ich gebe
es ehrlich zu: Meine Angst wächst.
Zuerst hielt
ich das alles für eine fixe Idee. Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Sechs Menschen
sind gestorben oder verunglückt, und mit all diesen Menschen hatte ich vorher zu
tun. Sie haben mich allesamt so beleidigt, dass ich heulen musste. Und zum Teil
habe ich sie auch beleidigt. Oder nicht? Wie soll ich da noch den Überblick behalten?
In meinem
Kopf höre ich inzwischen Stimmen! Ja, Sie lesen recht: Ich höre Stimmen.
Das ist
der eindeutige Beweis, dass bei mir etwas nicht ganz richtig ist. Ich habe irgendwann
einen Psychothriller gelesen, in dem jemand Stimmen hörte. Damals habe ich mich
wohlig gegruselt und darüber lachen können. Aber heute? Mir läuft es eiskalt den
Rücken hinunter. In meinem Schädel keifen zwei Stimmen gegeneinander an, und sie
werden immer lauter.
Klar, diese
Schizophrenie ist nicht vollkommen neu für mich, wusste ich doch immer schon, dass
zwei Seelen in meiner Brust wohnen. Aber bisher war ich mir ziemlich sicher, dass
das für einen Zwilling normal ist.
Jetzt hatte
ich dieses unmögliche Telefonat mit der Crumpf-Saitenstecher und ich bin ausgetickt!
Ein Glück, dass der Dürri heute nicht da ist. Sonst hätte er mich hochkant rausgeworfen.
Oder noch schlimmer, mir die nächste Horrorliste aufs Auge gedrückt. Obwohl – wozu
eine Horrorliste, wenn an den Wochenenden sowieso die ganzen Bekloppten hier anrufen?
Ach, ich
merke, dass ich an meine Grenzen stoße.
›Geh heim,
dir geht’s nicht gut‹, flüstert es
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