Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
die
Stelle, an der nun die Pappe fehlt, da sie ja im Kühlschrank haftet, sehe ich mir
das Eis genau an: Keine Haare darauf, nur ein feines Gitter perfekt ausgeformter
Eiskristalle.
Prima, geht
doch. Ich lege all meine Schätze auf den Couchtisch, dann hole ich ein Glas, Prosecco
und Aperol dazu. Mal sehen, welche DVD im Player steckt.
›Grey’s
Anatomy‹. Die Staffel, in der Cristina Yang Dr. Burke heiraten will. Sie sieht so
traumhaft aus in diesem Kleid! Aber alles andere ist so daneben … Ich fragte mich
schon damals, als es im Fernsehen lief, wie die toughe Cristina es so weit kommen
lassen konnte. Und dann erst, als die Mutter von Burke ihr die Augenbrauen wegrasiert
… Auch mit zwei Gläsern Spritz sieht das noch beschissen aus.
In meinem
Bauch rumort es. Ich kann so gut mit Cristina mitfühlen. Sie kastrieren sie für
diese Ehe. Das kann nicht gut gehen. Flieh, Cristina, flieh, solange du noch kannst.
Autsch,
tut das weh! Ich presse meine Hand auf den Magen. Um mich dreht sich alles. Die
Stimmen der Seattle-Grace-Doktoren haben die Weiber in meinem Kopf endlich zum Schweigen
gebracht, und das Karussell verhindert, dass ich allzu klare Gedanken fassen kann.
Ich laufe rasch zur Toilette, um mich ein wenig zu erleichtern, und lasse die Lüftung
anschließend laufen. Diese Duftnote hält ja kein Mensch aus.
Dann ziehe
ich mir weiter GA rein, unablässig Flakes mit Erdnussbutter mampfend. Sind gar nicht
mal so übel, die Dinger.
Das Telefon
lässt mich hochschrecken. »Hallo?«
»Ach, erreicht
man dich mal? Ich hatte mich schon beinahe dazu durchgerungen, auf deinen Anrufbeantworter
zu sprechen.«
Meine Mutter!
Meine Mutter?
»Ääh … ja.«
»Kind, kommst
du morgen zum Frühstück?«
Ich halte
erschrocken den Atem an. Mist! Wie komme ich aus der Nummer raus?
»Dein Bruder
und deine Schwester sind auch da.«
Nur eine Schwester? »Kat oder A-Mi?«
»Sie heißt
Anna Maria, und ja, sie meine ich. Katharina kann leider nicht. Sie ist mit Susanna
unterwegs, sagte sie.«
Susa ist
doch zu ihren Eltern gefahren, und Kat hat diese Regelbeschwerden. Ob sie einfach
gelogen hat?
»Ich kann
auch nicht«, beeile ich mich zu sagen.
»Warum denn
nicht? Morgen ist Sonntag, meine Liebe.«
»Ich muss
zur Arbeit.« Zwar habe ich keineswegs vor, morgen im Callcenter aufzukreuzen, aber
immerhin müsste ich es, und das soll als Entschuldigung reichen.
Meine Mutter
seufzt. »Ach ja, deine unmögliche Arbeit … Sag mal, hattest du mit diesem Kommissar
wieder zu tun?«
In meinem
Kopf schrillen die Alarmglocken los. Wie viel weiß meine Mutter? »Wen meinst du?«
»Diesen
Kommissar Kruse, oder wie hieß er doch gleich?«
»Kraus«,
berichtige ich empört – zu spät erkennend, dass sie mich mit ihrer Frage aufs Glatteis
gelockt hat. Sie stößt sofort zu, wie ein Bussard, der geduldig über dem Feld kreist,
um die arme Maus zu fangen, sobald sie das Näschen hervorstreckt.
»Ja, siehst
du, den meine ich.«
»…«
»Er ist
verheiratet. Wusstest du das?«
In meinem
Kopf bricht ein Fragenfeuerwerk los. Woher, um alles in der Welt, weiß meine Mutter
das?
Wie kam
sie überhaupt dazu, sich über Frank Gedanken zu machen?
Hat sie
etwa Nachforschungen angestellt?
Und warum
schmiert sie mir das aufs Brot?
Der Alkohol
bekommt mir anscheinend nicht besonders gut heute. Ich spüre ein Reißen im Unterleib,
presse meine Hand darauf. Es gluckert laut und vernehmlich.
»Lucinda,
bist du noch da? Was ist das für ein Geräusch?«
Ich lasse
in einem leisen Rülpser die Luft heraus, der Druck verringert sich für einen Moment.
»Ich bin noch da, und das ist die Spülmaschine.«
»Also, was
sagst du?«
»Wozu?«
»Dass dein
Kommissar verheiratet ist.«
Ach, ist
er jetzt mein Kommissar? In dieser Sekunde erwacht Lady Tough, der eine Zwilling,
wieder zum Leben. ›Ja, ist er doch auch‹, kichert sie.
»Dazu sage
ich gar nichts.«
Sie schweigt
genau drei Sekunden. »Du solltest kommen, damit wir alles besprechen können.«
Ach nee!
Alles besprechen – etwa mit den Juristengeschwistern? Mir wird klar, wie sie sich
das für morgen ausgemalt hat: Meine Eltern und meine feinen Geschwister (außer Kat
natürlich – jetzt begreife ich auch, dass nicht Kat sich ausgeladen hat, sondern
dass sie vermutlich gar nicht erst eingeladen wurde!) wollen mich bearbeiten, damit
ich nicht erneut ›in die Irre‹ gehe, wie sie das gerne nennen. Ein kleiner Kriminalkommissar,
nicht mal ›Haupt-‹ oder ›Ober-‹ ist vermutlich
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