Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
damit, die Hühner einzugewöhnen. Ich weiß nicht, was sie machen, aber
ich akzeptiere es. Vielleicht kommt sie später noch vorbei.
Ich sitze
also hier, allein, wie im Wartesaal, und warte mal. Aber ich weiß nicht, worauf.
Ich lasse
Franks Bericht wieder und wieder Revue passieren. Meine dummen Tränen sind an allem
schuld. Hätte ich die Beleidigungen der Kunden nicht an mich rangelassen, hätte
ich nicht geheult. Dann wäre Maurice nicht auf die wahnwitzige Idee gekommen, mich
zu rächen. Armer Maurice!
Nein, es
hat keinen Zweck, ich muss aus dieser Gedankenmühle raus! Von meinen Kolleginnen
und ehemaligen Kommilitoninnen fällt mir niemand ein, mit dem ich eng genug wäre,
um über all das zu reden. Vielleicht mit Franks Frau Ellen?
Soll ich
es wagen? Ich halte den Hörer bereits in der Hand, ihre Nummer habe ich im Telefonbuch
im Internet sofort gefunden. Ich wähle die ersten drei Ziffern. Meinen Herzschlag
spüre ich bis zum Hals hinauf. Ich tippe die letzten drei Ziffern ein. Das Freizeichen
ertönt. Noch kann ich auflegen.
»Kraus?«,
meldet sich eine jung und sympathisch klingende Frauenstimme.
Ich bringe
kein Wort hervor. Fühle mich wie eine heimliche Geliebte, die ihrem Angebeteten
hinterherspioniert, als ich hastig auflege.
Nur langsam
beruhigt sich mein Herzschlag. Ich muss bescheuert sein. Was sollte Ellen mir sagen
können, wie mir helfen? Ihre Stimme hat mir gefallen. Ob ich sie bald kennenlerne
und mich mit ihr verstehen werde?
Wie am Morgen
gehe ich in meiner Wohnung im Kreis und fühle mich, als gehörte ich – und nicht
Maurice – in die Klapse. Endlich kommt mir ein hilfreicher Gedanke. Lady Tough flüstert
mir zu: ›Bring Normalität in dein Leben, indem du deine Manolos abholst.‹
Wie elektrisiert
greife ich meine Tasche, meinen Schlüssel und eile zur Tür hinaus. Dass ich darauf
nicht schon früher gekommen bin! Ich muss raus und etwas Normales machen. Also fahre
ich nach Riegelsberg und hole meine geliebten Schuhe heil und wohlbehalten nach
Hause.
Alle Gedanken
an unmögliche Unfälle und unglücklich Verliebte treten in den Hintergrund, als ich
den Twingo parke und mich auf den Weg zum Kabuff des Schusterhannes mache. Das ist
doch die zweitschönste Nebensache der Welt: Zurückfinden zu den geliebten, besten
und edelsten Schuhen. Da kann nichts mithalten, außer Frank, den ich als meine neue
große Liebe im Herzen trage. Dasselbige schlägt vor Vorfreude einen Takt schneller,
als ich die Werkstatt betrete.
Der Schusterhannes
kommt mit seinem wiegenden Schritt nach vorn an den Tresen, die unvermeidliche erloschene
Zigarre im Mund. Die Haut um seine Augen legt sich in abertausend Falten. »Da sin
Se ja. Ich dachte mir schon, dass Sie nit lange auf sich warten lassen, Fräulein.
Jo, die Schuhe sin fertig.« Er dreht sich zum Regal um und greift nach dem Karton,
den ich natürlich längst entdeckt habe. Bedächtig stellt er ihn auf dem Tresen ab,
lässt die schwieligen Hände darauf liegen und beugt sich vor. »Dat war ’n schönes
Stück Arbeit.« Kalte Asche rieselt auf den Karton und seine Hände. »Mehr als ich
gedacht hätte.«
»Mehr?«
Will er jetzt einen höheren Preis herausschlagen?
»Ja. Dat
Gelb hat nit zusammengepasst.«
Mir bleibt
die Luft weg, ich kann nur ein abgewürgtes Keuchen hervorbringen.
Er hebt
beschwichtigend eine Hand. »Machen Se sich mal keinen Kummer, ich hab ’ne Lösung
gefunden.«
Er öffnet
den Karton, aber ich kann noch immer nichts erkennen, weil das Seidenpapier wie
ein zarter Vorhang die Schuhe verdeckt. Abermals legt er seine Hände darauf und
entzieht damit den Inhalt meinem Blick.
»Ich musste
ein bisschen zaubern.«
»Zaubern?«,
krächze ich.
»Jo. Ich
habe ’ne Weile gesucht. Aber dann is mir die alte Tasche meiner Frau eingefallen.
Feinstes Ziegenleder. Beste Qualität.«
Was hat
denn die Tasche seiner Frau mit meinen Manolos zu tun, zum Donnerwetter?
»Meine Frau
benutzt sie schon seit mindestens 20 Jahren nit mehr. Solche Qualität finden Se
heute kaum noch.« Er nimmt umständlich die Zigarre aus dem Mund und legt sie auf
einem Aschenbecher ab, den ich vorher nicht bemerkt hatte. »Die Farbe passte einzigartig
zu dem Gelb.«
Mir sacken
beinahe die Knie weg. Was will er mir sagen?
»Welche
Farbe meinen Sie?« Lady Tough spricht da aus mir. Ich selbst kann keinen klaren
Gedanken mehr fassen, und Heulsuse natürlich noch weniger.
Herr Zimmer
greift endlich mit seiner großen Hand den Rand des Seidenpapiers und zieht
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