Beichte eines Verfuehrers
Er wirkt so ernst, dass ich ihm nicht ernsthaft böse sein kann. Ich weiß schon, eigentlich war es nur so ein One-Night-Stand, auch für mich. Aber der Sex ist wirklich so verdammt gut gewesen. Ich hätte nichts dagegen, wenn Joe bis zum Frühstück bliebe.
„Aber …“
Nachdrücklich schüttelt er den Kopf und ich verstumme. Dann öffnet er die Tür und verlässt meine Wohnung. Erst als sich die Tür hinter ihm geschlossen hat, fällt mir auf, dass er nicht nach meinem Namen gefragt hat.
Joe zwirbelte ein Stück Strohpapier zwischen den Fingern und verknotete es. Er sah mich nicht an. Seit er neben mir auf der Bank saß, hatte er mich nicht ein einziges Mal angesehen.
„Warum hast du sie nicht nach ihrem Namen gefragt?“ Ich hatte nichts gegessen. Ich hatte sogar vergessen, die Papiertüte mit meinem Lunch zu öffnen. Obwohl ich nur wenige Zentimeter von Joe entfernt saß, hatte ich das Gefühl, es lagen Meilen zwischen uns.
Langsam drehte er sich zu mir um. Wir blickten einander an. Ich atmete tief ein und hielt die Luft an. Der Blick, den er mir zuwarf, war eine Herausforderung für mich.
„Weil es für mich keine Bedeutung hatte, wie sie hieß.“
Es konnte ja sein, dass ihr Name keine Bedeutung hatte. Aber welchen Grund hatte Joe, sie nicht danach zu fragen? Seine Geschichte tröstete mich. Das war der Joe, den ich kannte. Hier war wieder der Geschichtenerzähler, der Aufreißer. Er war nicht mehr der Mann, der letzten Monat damit gedroht hatte, das Gleichgewicht unserer Freundschaft zu zerstören, indem er alles infrage stellte und veränderte.
„Das im letzten Monat“, sagte ich, „tut mir leid.“
Er zuckte mit den Schultern. „Du hattest ja im Grunde recht.“
Ich nickte leicht, als hätte er eine längere Erklärung abgegeben. Seit wir uns das erste Mal getroffen hatten, war unser Schweigen nie so unangenehm gewesen wie heute. Ich blickte beiseite, weil ich Angst hatte, dass mein Gesicht zu viel von dem zeigte, was ich unter keinen Umständen sagen wollte.
„Eigentlich war es nicht so geplant, dass ich mit zu ihr nach Hause gehe“, sagte er nachdenklich nach einer Minute des Schweigens. „Ich wollte mit niemandem mitgehen an diesem Abend.“
„Aber … warum hast du es dann getan?“ Ich konnte meine Neugier nicht verhehlen.
„Ach, komm schon, Sadie. Du weißt doch, wie das manchmal ist.“
„Nein, ich habe wirklich keine Ahnung, wie das ist.“
Joe pfiff leise durch die Zähne. „Heißt das, du bist nie …?“
„Nein, nie.“ Ich schüttelte den Kopf, um meinen Standpunkt zu unterstreichen.
„Du bist nie mit jemandem mitgegangen, um nur diese eine Nacht mit ihm zu verbringen?“ Ich war mir nicht sicher, ob seine Stimme ungläubig oder neidisch klang.
„Bisher hatte ich nur einen Mann.“ Ich sagte dies nicht beschämt, denn es war nun mal die Wahrheit. Aber Joe wirkte schockiert, er schien meine mangelnde Erfahrung ebenso wenig zu begreifen wie ich seine unzähligen Eroberungen nachvollziehen konnte.
„Nur einen Mann.“
„Ja“, sagte ich schlicht.
Er schüttelte den Kopf. „Das ist schön für dich.“
Ich lachte. „Du gehst meiner Frage aus dem Weg. Also: Wenn du nicht vorhattest, mit jemandem mitzugehen, warum hast du es dann getan?“
„Weil ich es konnte. Sie hat mich gefragt. Und, na ja … weil ich es immer mache, wenn ich gefragt werde.“
Wieder schüttelte ich ungläubig den Kopf und machte ein kleines Geräusch. Jetzt wickelte ich doch mein Sandwich aus. Joe blickte über meinen Kopf hinweg, während er den Verschluss seiner Mineralwasserflasche aufdrehte. Er trank in langen, durstigen Schlucken. Ich stellte mir vor, wie er nach Zitrone und Wodka schmeckte. Krampfhaft hielt ich den Blick auf das Sandwich in meinen Händen gerichtet.
„Hast du denn nie etwas gemacht, weil es einfacher war, es zu tun, als es nicht zu tun?“
Ich brauchte über die Antwort nicht lange nachdenken. „Natürlich.“
„Erzähl mir davon.“
„Die Geschichte ist nicht halb so aufregend wie deine, Joe.“
Er beugte sich vor und grinste frech. „Nein? Das ist natürlich schade. Erzähl sie mir trotzdem.“
Ich war es gewohnt, den Leuten zu geben, was sie wollten, während Joe es gewohnt war, zu bekommen, was er wollte. Also erzählte ich es ihm.
„Ich habe eine jüngere Schwester. Als wir zur Highschool gingen, fielen wir in dieses … na ja, man könnte es ein Schema nennen. Ich war immer die Kluge. Sie war immer die Hübsche, der die Jungs
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