Beichte eines Verfuehrers
hinterhergeschaut haben. Es blieb so, auch als wir auf das College wechselten und wahrscheinlich ist es auch heute noch so. Ich weiß, es ist eigentlich dumm. Aber du weißt schon, Familien sind so.“
„Dann versuch’ doch einfach, diejenige zu sein, die alle enttäuscht?“, schlug Joe spontan vor.
Ich lehnte mich auf der Bank zurück und blickte ihn nachdenklich an. Er war mal wieder perfekt angezogen. Heute trug er ein blaues Hemd – ich wusste inzwischen, dass blau seine Lieblingsfarbe war. Seine Augen wirkten dadurch grüner. Für mich war Joe der Inbegriff eines erfolgreichen Geschäftsmanns. Was immer er auch tat, ich war mir sicher, dass er es so gut tat, dass er niemanden enttäuschte.
Ich lachte. „Ach komm, du bist keine Enttäuschung! Guck dich doch an, Mr. Erfolgreich!“
Lächelnd zuckte er mit den Schultern. „Meine Eltern lassen sich nicht von modischen Anzügen und teuren Krawatten beeindrucken.“
Ich wusste, dass er eine Schwester hatte, die bereits verheiratet war und Kinder hatte. Außerdem war da ein Bruder, der früh verstorben war. Aber heute erzählte er mir zum ersten Mal über seine Eltern.
„Soweit ich das beurteilen kann, ist das eine sehr schöne Krawatte“, sagte ich. „Auch wenn deine Eltern sie nicht mögen.“
Amüsiert blickte er mich von der Seite an. Er blinzelte mir grinsend zu und ich musste unwillkürlich lachen. „Was denn? Meine Krawatte beeindruckt dich?“
„Du solltest bedenken, dass ich von Männermode nicht die geringste Ahnung habe.“
Prüfend strich er über die Krawatte. „Aber du hast recht, ich mag diese hier auch.“
Als wir jetzt schwiegen, war es eine angenehme Stille.
Nach einer Weile sagte Joe: „Manchmal ist es einfacher, wenn man sich so gibt, wie es alle von dir erwarten. Selbst wenn du nicht so bist, ist es doch einfacher.“
Ich nickte zustimmend. Joe stand auf und warf seinen Abfall in den Mülleimer.
„Ich war mir nicht sicher, ob du heute kommen würdest, nach unserem Streit vor vier Wochen“, sagte ich zögernd.
„Ich konnte nicht wegbleiben. Aber ich habe darüber nachgedacht, einfach nicht aufzutauchen.“
„Und warum bist du trotzdem gekommen?“
Plötzlich lächelte er mich überraschend offen an. „Weil ich bisher immer gekommen bin.“
Ich versuchte, mich zwischen zwei Kaffeebechern zu entscheiden. Sie hatten dieselbe Farbe, aber unterschiedliche Formen. Ich konzentrierte mich ganz und gar auf die Entscheidung, als ich plötzlich das deutliche Gefühl verspürte, dass mich jemand beobachtete. Der fremde Blick war so präsent, dass ich ein Kribbeln im Nacken verspürte. Ich blickte mich um, aber der Mann auf der anderen Seite des Gangs schien ebenso vertieft in seine Kaufentscheidungen wie ich. Nach einem letzten, prüfenden Blick erkannte ich, dass er und ich die einzigen Kunden in der Haushaltswarenabteilung waren. Bestimmt hatte ich mir das Ganze nur eingebildet. Beruhigt wandte ich mich wieder den Kaffeebechern zu.
Doch kurz darauf überkam mich schon wieder das Gefühl, angestarrt zu werden. Diesmal blickte ich nicht auf, sondern schaute möglichst unauffällig nach links und rechts. Nichts. Ich drehte meinen Kopf ein wenig und blickte in die Richtung des anderen Kunden. Inzwischen war er ein wenig näher gekommen und nahm jetzt einen Kaffeebecher mit Blümchenmuster zur Hand, drehte ihn hin und her und stellte ihn zurück aufs Regal.
Ich wandte mich wieder der Auswahl vor mir zu, konnte mich jetzt aber nicht mehr konzentrieren. Unwillkürlich lauschte ich auf den Mann hinter meinem Rücken, nahm ungeduldig einfach einen der Becher, stopfte ihn in meinen Einkaufskorb und blickte kurz über die Schulter.
Er schaute mich offen an.
„Entschuldigen Sie“, begann er.
Ich drehte mich langsam zu ihm um. Wahrscheinlich hatte er nur eine Frage. Vielleicht wollte er wissen, wie spät es war oder ob ich hier arbeitete.
„Sind Sie für ein Date verfügbar?“
Ich war mir sicher, dass mein Gesicht zeigte, wie sehr seine Worte mich schockierten. „Bitte, was?“
Jetzt nahm ich auch sein Äußeres war. Er hatte lange, ungekämmte Haare, trug eine unförmige, abgetragene Jacke und dazu passend eine verlumpte Hose. Ach du meine Güte! Wahrscheinlich war er Patient der geschlossenen Abteilung des Landeskrankenhauses auf Ausgang.
„Wissen Sie, ich habe nämlich keinen Ehering gesehen und da dachte ich …“
Automatisch blickte ich auf meine linke Hand, an der ich meinen Ehering trug. Ich war verwirrt. Das
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