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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Geschäftspartner und Gäste stellen einen sehr anspruchsvollen, sehr kultivierten Personenkreis dar. Herr Luschner hat sich bemüht, den individuellen Wünschen dieser Persönlichkeiten Rechnung zu tragen, und ist deshalb stets um... wie soll ich sagen?... um geeignete Begleiterinnen und Begleiter bemüht gewesen. Auf Frau Morny ist er von einer unserer bewährten Kräfte aufmerksam gemacht worden...«
    »Von wem, bitte?«
    Der Sandfarbene zögerte, dann zuckte er mit den Schultern. »Von einer Brigitte Sosta, die Frau Morny in einem Fitnesscenter kennen gelernt hatte. Frau Sosta gab dem Kollegen Luschner den Hinweis, dass Frau Morny möglicherweise geeignet sei.«
    »Und Herr Luschner hat das nachgeprüft?«
    »Herr Luschner hat das nachgeprüft und ist zu einem positiven Ergebnis gekommen.«
    Kuttler hatte mitgeschrieben, steckte jetzt aber seinen Kugelschreiber wieder ein. »Herr Luschner hat offenbar einen sehr anstrengenden Aufgabenbereich«, sagte er.
    »Das ist wohl so«, meinte der Sandfarbene.
    »Und jetzt hat er Herzrhythmusstörungen«, stellte Kuttler fest. »Kein Wunder.«

    »... Otto Gaspard, 1908 in Weingarten als Sohn eines Polizeibeamten und drittes von sechs Kindern geboren, studierte in Tübingen und München Rechtswissenschaft und trat 1933 in die Finanzverwaltung ein. 1938 wurde er zum Regierungsrat befördert. Aus dem Krieg kehrte er schwer beschädigt zurück - er hatte ein Bein verloren - und wurde 1948 Leiter der Wiedergutmachungsstelle Ulm. Zum stellvertretenden Leiter des Finanzamtes Ulm wurde er 1957 berufen. Trotz seiner schweren Kriegsverletzung übernahm er zusätzlich zu seiner hohen dienstlichen Verantwortung wichtige Funktionen im politischen und gesellschaftlichen Leben. So gehörte er lange Jahre dem Gemeinderat an und war in leitender Funktion für den Schwäbischen Albverein tätig. Insbesondere machte er sich um die Kartierung und den Schutz von Naturdenkmälern verdient. Otto Gaspard starb nach kurzer schwerer Krankheit kurz vor Vollendung seines 80. Lebensjahres...«
     
    Berndorf ließ die Kopie des Nachrufs sinken und sah Frenzel an. »Ich habe Ihnen sehr zu danken«, sagte er. »Gewiss ein sehr schöner Nachruf. Leider steht genau das nicht drin, was ich eigentlich wissen will.«
    »Niemand ist perfekt«, antwortete Frenzel und nahm einen Schluck von seinem gespritzten Weißen. »Was wollten Sie denn wissen?«
    »Was genau, bitte, dieser Heimkehrer vorher getan hat, im Krieg nämlich.«
    »Steht doch da«, antwortete Frenzel. »Er hat sein Bein verloren. Das ist nicht nichts. Sie sollten nicht so anspruchsvoll sein, und vor allem sollten Sie weiterlesen.«
    »Schon gut«, murmelte Berndorf und nahm sich die nächste Kopie vor. Abgelichtet war ein Bericht aus dem Jahr 1965 über eine Feierstunde in freier Natur: Auf der Albhochfläche wurde eine große freistehende Buche nach Otto Gaspard benannt. Von der dem Artikel beigefügten Fotografie waren auf der Kopie nur die ungefähren Umrisse eines breit ausladenden Baumes und davor die Schemen dicklicher Männer in Kniebundhosen zu erkennen, dazwischen ein eher magerer Mann auf Krücken,
das eine leere Hosenbein nach oben umgeschlagen. Der nächste Artikel war aus dem Jahr 1978, Gaspard war da die Bürgermedaille verliehen worden: Für herausragendes Wirken in Beruf und Ehrenamt, wie es in der Begründung hieß.
    »Weiter«, sagte Frenzel.
    Auf dem nächsten Blatt war die Todesanzeige für Otto Gaspard kopiert, und zwar mit dem gleichen Datumsvermerk wie bei dem Nachruf. Mit der Bitte, am Grab von Beileidsbezeugungen Abstand zu nehmen, wurden - »in stiller Trauer« - als Leidtragende aufgezählt: Marianne Gaspard sowie Wolfgang, Margarethe und Lukas Freundschuh. - Freundschuh? Berndorf runzelte die Stirn.
    »Na?«, fragte Frenzel.
    Berndorf blickte auf.
    »Die Adresse«, sagte Frenzel. »Haben Sie die Adresse gesehen? Blaustein, In der Halde sieben... Klingelt es? Das ist das Haus, in dem die Morny zu Tode kam.«
     
     
     
    Stuttgarter Westen, Reuchlinstraße, fünfstöckige Häuser, im Krieg zerbombt und in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eilig aus den Ruinen wieder hochgezogen, wenn einer den Kopf in den Nacken legt, sieht er ein kleines Stück vom grauen Himmel...
    Kuttler hielt mit seinem Wagen in einer Einfahrt, auf der anderen Straßenseite, keine fünfzig Meter von der Hausnummer 26 entfernt. Im Autoradio spielte ein Pianist ein zirkusbuntes und hüpfendes Stück, den »Kleinen weißen Esel« von

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