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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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noch immer neben der halb aufgezogenen Haustüre stand, als wolle sie den unangemeldeten Besucher auf keinen Fall hereinlassen, »Marianne Gaspard war nicht meine Mutter. Ich bin die Schwiegertochter.« Sie schwieg und warf einen Blick ins Hausinnere. »Wolfgang?« Niemand antwortete.
    Sie zuckte die Achseln. »Seit mein Mann im Ruhestand ist, kriegt man ihn aus seinem Werkraum überhaupt nicht mehr heraus... Kommen Sie doch eben herein, ich hol ihn.«
    Der Besucher - Berndorf - trat seine Schuhe ab und folgte der Einladung. Das Haus, in dem Wolfgang und Margarethe Freundschuh mit ihrem Sohn Lukas lebten, war in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut worden, verfügte - wie alle Häuser aus jener Zeit - über eine zusätzliche Einliegerwohnung und wirkte ansonsten nüchtern und zweckmäßig. Durch das Panoramafenster des Wohnzimmers blickte man auf eine Rasenfläche mit einigen wenigen Obstbäumen, der Rasen schien - soweit man das um diese Jahreszeit beurteilen konnte - gut gepflegt.
    Berndorf sah sich um. Zwei großformatige Landschaftsbilder, zum Glück ohne Hirsche, aber doch spätes und Wolken auftürmendes 19. Jahrhundert, Glasvitrinen, keine Bücher. Aber Puppen, genauer: aus Holz geschnitzte und bemalte Marionetten, Harlekine und Kolumbinen, so an den Wänden aufgehängt, als wollten sie sich sogleich in neues Liebesunglück stürzen, zart und melancholisch und mit großen traurigen Augen...
    »Diese Marionetten sind wunderschön«, lobte Berndorf, um gut Wetter zu machen, »Sie sammeln sie? Oder machen sie selbst?«
    Wieder lag er falsch. »Diese Sachen da macht mein Mann«, kam die Antwort, rasch und ruppig, »trinken Sie eine Tasse Kaffee? Oder ein Mineralwasser?«
    Berndorf sagte, dass er sich über eine Tasse Kaffee sehr freuen würde. Margarethe Freundschuh verschwand, im Haus hörte man Schritte, jemand lief eine Treppe hinab und dann
wieder hinauf, und schließlich öffnete sich die Wohnzimmertür, ein rundlicher Mann trat ein, auch er bebrillt, mit nach hinten gekämmtem, freilich schütterem Haar. Wolfgang Freundschuh reichte Berndorf eine überraschend kleine, aber wohl gestaltete Hand, der Händedruck war kräftig, wie sich der ganze Mann überhaupt mit einer gewissen Gewandtheit zu bewegen schien.
    »Ich habe gerade Ihre Marionetten bewundert«, sagte Berndorf, »kann man sie auch auf einer Bühne erleben?«
    »Was glauben Sie, was mir meine Frau erzählt«, antwortete Freundschuh, »wenn ich hier ein Puppentheater einrichten wollte!« Aber er arbeite gerade an einem Satz Figuren für einen Kameraden aus der Sportgemeinschaft, »der will auf unserer Weihnachtsfeier ein Stück von Goldoni damit aufführen, freilich in schwäbischer Mundart...« Seine Haltung straffte sich. »Aber deswegen sind Sie nicht gekommen.«
    Er wies einladend auf die Sitzgruppe, und die beiden Männer setzten sich. Berndorf erklärte, dass er für den Verteidiger des angeklagten Hauptmanns Morny arbeite, und während er es sagte, fiel ihm ein, dass dies bereits schon wieder gelogen war. Aber darauf kam es jetzt nicht an. Freundschuh hörte mit einem Gesichtsausdruck zu, der keinen Zweifel daran ließ, dass er von seinem ehemaligen Mieter, eben dem Hauptmann Morny, am liebsten überhaupt nichts mehr hören würde.
    »Ist es möglich«, fragte Berndorf unvermittelt, »dass ein bestimmter Schmuck, den Fiona Morny getragen hat, ursprünglich Ihrer Frau Mutter gehört hat?«
    Freundschuh blickte entrüstet auf. »Sie wollen mir doch nicht sagen, dass es um diese Kette geht, die nicht mehr gefunden wurde? In der Zeitung habe ich davon gelesen... Aber wie, um alles in der Welt, kommen Sie darauf, dass meine verstorbene Mutter etwas damit zu tun hat?«
    »Wann ist Ihre Mutter gestorben?«
    »Im Frühjahr 2002...«
    »Ich habe hier die Aussage eines Uhren- und Antiquitätenhändlers«, sagte Berndorf und griff nach seiner Mappe. »Er erinnert sich, Ihre Mutter habe ihm um das Jahr zweitausend eine
Goldkette mit einem solchen besonderen Ring zum Kauf angeboten, wie er auch auf den Aufnahmen vom Schmuck der Fiona Morny zu sehen ist...«
    Freundschuh drehte sich um, seine Frau war ins Zimmer gekommen, ein Tablett in den Händen. »Hast du das gehört? Der Herr behauptet, die verschwundene Kette hätte meiner Mutter gehört …«
    Margarethe Freundschuh stellte das Tablett ab und begann, den niedrigen Tisch zu decken. Offenbar sollte sich die Tasse Kaffee zu einer Kaffeetafel auswachsen, mit einem Porzellanservice in

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