Beifang
Ibert, das passte oder auch nicht, denn durch Kuttlers Gedanken hüpfte ein kleiner schwarzer Hund und hielt ihn zum Narren. Er hatte sich vorhin die Briefkästen angesehen, und dass auf einem davon - von Hand geschrieben, in Blockbuchstaben - der Name Morny stand, hatte ihn nicht weiter überrascht.
An »Fiona Morny, Stuttgart, Reuchlinstraße 26« hatte Landrat Kröttle zuletzt im Januar jene achthundert Euro geschickt, die sein Erpresser monatlich per SMS von ihm einforderte: So also
hatte nicht einmal der Tod die feste Beziehung beenden können, welche von den Neckarwerken zwischen der schönen Fiona und dem Landrat aus dem Schwarzen Wald geknüpft worden war …
Die Adressen der angeblichen Fiona Morny hatten übrigens ständig gewechselt, wie aus der Strafanzeige von Kröttles Anwalt hervorging, es waren Anschriften aus dem Großraum Stuttgart, aber auch aus Mannheim, Stadtteile wie Plieningen, Heslach oder Waldhof waren aufgeführt, und inzwischen hatte Kuttler auch begriffen, was für Adressen das waren: Sie gehörten zu Häusern mit vielen Mietsparteien, ohne Hausmeister, mit mindestens einer Wohnung, die leer stand und auf deren Briefkasten man eine neue Anschrift kleben konnte, ohne dass es jemandem auffiel, weil sich niemand darum kümmerte, ob in der leeren Wohnung im fünften Stock jetzt doch wieder jemand eingezogen war oder nicht. Und dass man für einen Briefkasten auch einen Schlüssel braucht, ist kein Problem für einen, der sich an so vielen Gartenhäuschen hat schulen dürfen.
Aber riskant ist es doch. Wenn der Landrat zwar die achthundert Euro geschickt, aber zugleich zur Polizei gegangen wäre? Dann stünde die Bullerei schnell bereit und musste nur zugreifen, wenn der Erpresser erschien, seine Post zu holen.
Andererseits: Solche Häuser, wie sie der Erpresser brauchte, hatten ihr Quartier. Ihre Umgebung. Und in dieser Umgebung kann sich die Bullerei kostümieren, wie sie will, mit Zivilfahrzeugen und Jeansanzügen, selbst mit dem kühnen Outfit der Rauschgiftfahnder, immer drei Jahre hinter dem zurück, was gerade angesagt ist: Die geheimen Sensoren schlagen gleichwohl aus, in kreisförmigen Wellen wie nach einem Steinwurf ins Wasser - nur eben unsichtbar - würde sich die Nachricht verbreiten, selbst die fünfjährigen Buben liefen zu ihrer Mama, da sitzt ein komischer Onkel draußen in einem Auto und schaut komisch, gell, der ist von der Pozilei? Und wer gerade an einer Eckkneipe vorbeikommt, der tritt ein und lässt sich einen Magenbitter geben und sagt zum Stammtisch, dass das jetzt sein muss, denn da draußen drücken sich schon wieder diese verkleideten
Tagediebe herum, so was muss einem ehrlichen Mann doch auf den Magen schlagen!
Was bedeutete das? Dass auch Kuttlers Anwesenheit vermutlich schon längst registriert worden war. Er würde also die ganze Woche hierbleiben können, und niemand käme, Fionas Post abzuholen, so war das eben mit Sendungen ins Jenseits.
Noch immer war das Autoradio auf den Klassiksender eingestellt, nur wurde dort jetzt gerade geplaudert, ein Musikwissenschaftler breitete anekdotenreich seine Schätze aus, das konnte niemand ertragen, der sich mit so banalen Fragen wie der Nutzung verwaister Briefkästen beschäftigte, und so schaltete Kuttler um und erwischte die Regionalnachrichten...
…ULM. Dramatische Wende im Prozess um den Mord an der Ehefrau eines Bundeswehr hauptmanns: Der bisher unbekannte Mann, der sich mit der 28jährigen Frau wenige Stunden vor ihrem Tod getroffen hat, ist inzwischen identifiziert worden. Es handelt sich um einen hochrangigen Kommunalpolitiker aus dem südlichen Schwarzwald, der inzwischen seine Dienstgeschäfte wegen einer Erkrankung ruhen lässt. Er hat aber bereits durch seinen Anwalt mitteilen lassen, dass er dem Ulmer Landgericht als Zeuge zur Verfügung stehen wird...
Kuttler fluchte und schaltete das Radio aus. Wenn der Pudelmann die Nachricht vom hochrangigen Kommunalpolitiker mitbekam, war er auf und davon, über die grüne Grenze ins krumme Elsass oder ans warme Mittelmeer, lieber ein Flic auf dem Dach als die Hand von einem deutschen Bullen auf der Schulter.
Sein Mobiltelefon schlug an, er schaltete die Freisprechanlage ein und meldete sich. Die Stimme am anderen Ende der Verbindung klang wie bei ihrem ersten Anruf etwas brüchig, aber sonst durchaus ruhig und keineswegs panisch:
»Sie stehen im Halteverbot, Meister.«
Nein«, sagte die hagere, bebrillte Frau, die vermutlich Margarethe Freundschuh war und
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