Beifang
Vermutlich hat man die Kette gebraucht, weil der Ring zu breit ist, um ihn an der Hand zu tragen. Wer diesen Schmuck trägt, tut es, weil ihm der Ring etwas bedeutet...«
Bingo, dachte Berndorf.
»Spielst du schon wieder den großen Detektiv«, sagte seine Frau, die gerade mit der Kaffeekanne ins Zimmer gekommen war und nun an den Tisch trat. »Wissen Sie«, sagte sie zu Berndorf und schenkte ihm ein, »wir können nie einen Krimi zusammen angucken, immer muss er reinquatschen und weiß es besser.«
Der Kaffee war zu trinken, aber Berndorf schaffte es nicht, das Gebäck dankend abzulehnen.
»Haben Sie nie versucht, etwas über die Herkunft dieser Kette und diesen Ringen herauszufinden?«, fragte er, ein Kokosplätzchen kauend.
»Versucht schon«, antwortete Freundschuh. »Aber ich denke, Sie muss es geerbt haben. Obwohl - meine Großeltern mütterlicherseits waren keine reichen Leute...«
»Die väterlicherseits auch nicht«, warf seine Frau ein.
»Nein«, bestätigte er, »die auch nicht... Aber was ich sagen wollte... Ein Urgroßvater von mir ist Bauer gewesen und hat eine dieser kleinen Landwirtschaften auf der Alb betrieben, mit sechs Kühen und ein paar Schweinen, meine Mutter hat mir manchmal davon erzählt, und einmal hab ich mir vorgestellt, der Ring stammt aus einem vergrabenen Schatz und der Urgroßvater hat ihn gefunden...«
»Mein Mann ist ein Träumer, schon immer gewesen«, sagte Margarethe Freundschuh. »Das müssen Sie sich einmal vorstellen: tagsüber hat er bei der Bundeswehr die Kasernen verwaltet und sich mit den Handwerkern herumgeärgert und die Stromrechnungen überprüft, jahrelang nichts anderes, und in all der Zeit hat er von vergrabenen Schätzen geträumt...«
»Als Kind habe ich das«, stellte ihr Mann richtig, in sanftem Ton, aber bestimmt.
»Sie haben sicher noch Fotos von Ihren Eltern«, sagte Berndorf. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, sie mir zu zeigen?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Wolfgang Freundschuh und blickte zu seiner Frau, als sei er unsicher und müsse sich bei ihr Rat holen.
»Du hast doch irgendwo noch Alben«, meinte sie. »Verstecken musst du deine Familie nun auch nicht.«
»Da hast du auch wieder recht.« Ihr Mann stand auf und ging, die Alben zu holen.
»Das ist nicht ganz einfach für ihn«, bemerkte Margarethe Freundschuh, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Er hatte es nicht leicht mit seinen Eltern, und geheiratet haben wir auch erst nach dem Tod seines Vaters. Und das war schon schwierig genug.«
»Der Mutter wegen?«
»Ich habe schon nicht mehr daran geglaubt«, sagte sie. »Ich dachte, der bleibt ewig in dem dunklen Haus an der Blau...«
Ihr Mann kehrte zurück, einen Stapel von Fotoalben tragend. Er setzte sich, schob seine Kaffeetasse zur Seite und schlug das erste Album auf. Es lag so, dass auch Berndorf die Fotografien betrachten konnte: kleinformatige Schwarzweißbilder, mit den gezackten weißen Rändern, die bis in die fünfziger Jahre in Gebrauch waren. Es waren überwiegend Landschaftsaufnahmen, die karge Heide der Alb, Kalkfelsen, die unvermittelt aus einem Hang hervortraten, manche mit Höhlen, trollgesichtig anmutend, davor - wie zur Staffage - zuweilen ein Menschenpüppchen im weit schwingenden Rock, in weißer Bluse, Kniestrümpfe zu den Wanderschuhen, schwarzer Bubikopffrisur, schmales Gesicht, spitze Nase...
»Meine Mutter«, sagte Wolfgang Freundschuh, räusperte sich und blätterte um. Auf der nächsten Seite sah Berndorf das Portrait der jungen Frau mit dem Bubikopf, diesmal in einem grö ßeren Format und keine Amateuraufnahme. Die junge Frau hatte gar nicht erst versucht, in die Kamera zu lächeln, das ein wenig ungleichmäßige Gesicht mit der spitzen Nase war nachdenklich, fast abweisend.
Auf der Seite gegenüber fand sich die ebenfalls vergrößerte Aufnahme eines kräftigen Mannes in Kniebundhosen und Bergstiefeln, unter einem Gipfelkreuz rastend, den Rucksack neben sich. Der Mann war noch jung, trug aber eine Brille und hatte eine beginnende Stirnglatze.
»Ihr Vater?«
Wolfgang Freundschuh murmelte Zustimmung.
»Die Aufnahme muss vor dem Krieg entstanden sein.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
»Sie kannten ihn?«
»Nur dem Namen nach.«
Auf den nächsten Seiten wieder Landschaftsaufnahmen, selten ein Foto des jungen Paares, immer wieder Reiseziele, die Frau mit dem schwarzen Bubikopf und dem ernsten Gesicht an südlicher Küste, dann vor dem Florentiner Dom. Einige Stellen
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