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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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so etwas vorstellen kann. Manchmal greift man nach einem Detail, um überhaupt eine Vorstellung zu haben... Wussten Sie, dass es bei den Erschießungen ein waffentechnisches Problem gab? Anfangs sind die Kommandos mit Wehrmachtskarabinern ausgestattet gewesen. Weil es nun im Ablauf der Exekutionen kein Stocken und keinen Aufenthalt geben durfte, mussten die Soldaten und SS-Leute und Polizisten ganz sichergehen, und das heißt: ganz nah an die zu Exekutierenden heran, an die Frau mit dem Kind auf dem Arm oder an den alten Mann... Aber wenn sie dann Feuer gaben, hatte der Karabiner eine solche Durchschlagskraft, dass es die Menschen nur so zerfetzte und das Blut und die Gehirnmasse um sich spritzte …« Er schüttelte den Kopf. »Was glauben Sie, wie die Soldaten aussahen, wenn sie in ihre Unterkunft zurückkehrten, mit all dem Blut und den Fetzen von Menschenfleisch und Gehirn auf der Uniform …! Später hat man den Leuten deshalb Maschinenpistolen gegeben, auf Einzelfeuer gestellt.«
    Berndorf schüttelte den Kopf. »Im Gerichtssaal höre ich Sie lieber reden als gerade jetzt.«
    Veesendonk horchte auf. »Tut mir leid«, sagte er dann. »Aber
auf andere Weise weiß ich nicht darüber zu reden … Worüber man nicht reden kann, davon sollte man schweigen, ich weiß. Aber gerade hier hilft Schweigen nicht...«
    »Wir sprachen von Gaspard«, erinnerte Berndorf.
    »Ja, natürlich«, lenkte der Richter ein. »Eines der Probleme, von denen ich sprach, fiel in seine Zuständigkeit. Es war fiskalischer Natur. Gemessen an der Zahl der Ermordeten kam so viel an Wertsachen nämlich gar nicht zusammen. Der cash flow war lausig, würde man heute sagen. Fünfzehneinhalb Kilogramm goldene Eheringe hat die Einsatzgruppe A in ein paar Monaten zusammengebracht, das ist ja ganz nett, nur - schrecklich viel Krieg können Sie damit nicht führen, da wären Devisen sehr viel hilfreicher, aber mit ihrem ganzen Morden und Erschießen hat die Einsatzgruppe keine zweitausend Dollar aufgetrieben, das deckt ja noch nicht einmal die Kosten fürs Schießpulver! Und was, bitte, machen Sie mit fünfhundertsiebenundzwanzig silbernen Serviettenringen? An verdiente Ortsgruppenleiter und Ritterkreuzträger verschenken? Vorher müssen Sie die verdammten Ringe erst noch gravieren lassen... Oder das da!« Der Richter hatte eine neue Textstelle aufgerufen. »Der Bezirk Borissov, auch hier hat man alle Juden umgebracht, Frauen, Männer, Greise, Kinder, ausnahmslos alle, aber bei der Reichskreditkasse in Minsk werden am Ende gerade fünfundzwanzig Goldrubel eingezahlt, nennen Sie das vielleicht Beute!«
    »Nie reicht die Beute«, warf Berndorf ein. »In keinem Krieg.«
    »Gewiss doch«, meinte der Richter. »Aber in diesem Krieg war das Missverhältnis zwischen Auftrag und Ertrag besonders auffällig, finden Sie nicht? Das haben übrigens auch die Beteiligten bemerkt. Um die Habseligkeiten der Ermordeten - also um das, was nicht schon vor oder nach der Exekution gefleddert und gestohlen worden war, stritten sich Polizei und Wehrmacht und SD und Zivilverwaltung und eben auch die Reichshauptkasse wie die Bürstenbinder … das heißt: eben nicht wie die Bürstenbinder, sondern sie führten regelrechte Schreibtischkriege gegeneinander, das ist vielfach belegt, denn diese Leute waren ebenso sehr Bürokraten wie sie Mörder waren, oder vielleicht
waren sie sogar in allererster Linie nur Bürokraten, und das Morden ergab sich eben so... Sehen Sie hier, ein Briefwechsel zwischen dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und dem Chef der Zivilverwaltung in Minsk, die Sicherheitspolizei will fünfundzwanzigtausend Reichsmark aus der Beute für sich behalten, weil sie das Geld braucht, um ›Genussmittel‹ für die Sondereinheiten zu kaufen, also Schnaps und Tabak für die Erschießungskommandos, haushaltsrechtlich lasse sich das sonst nirgends unterbringen, klagt einer der SS-Offiziere …«
    »Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Dass es am Charakter der Dienstreise des Finanzbeamten Otto Gaspard überhaupt keinen Zweifel geben kann. Er hat das Unternehmen Holocaust einer Betriebsprüfung unterzogen.« Er griff nach einem Notizblock, auf dem er in seiner kleinen akkuraten Schrift eine Reihe von Daten notiert hatte. »Der telefonischen Auskunft des Versorgungsamtes zufolge ist der Lastwagen, in dem Gaspard mitfuhr, am Abend des neunten November 1941 auf eine Mine gefahren und danach einen Hang hinabgestürzt.« Er sah auf, als wolle er sich vergewissern, ob ihm Berndorf

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