Beifang
sagte Lukas Freundschuh, »aber warten Sie einen Augenblick...« Er sah zu Berndorf hoch. »Könnten Sie mal kurz die Lampe halten?«
Berndorf nickte und beleuchtete Elaines Fuß, während Lukas einen Dorn aus der Sohle zu ziehen versuchte. Aber seine Fingernägel waren zu kurz geschnitten, und so beugte er sich mit dem Kopf zur Fußsohle und begann, den Dorn herauszusaugen.
»Autsch!«, sagte die Anwältin und lag dabei halb im Unterholz, das Bein mit der verletzten Fußsohle etwas angehoben. Lukas richtete sich auf und spuckte etwas aus. Gemeinsam untersuchten er und Berndorf die Wunde, aber es schien nichts zurückgeblieben zu sein.
»Der Dorn müsste draußen sein … Wirklich, Sie sollten hier nicht barfuß herumlaufen.«
»Ich bin nicht barfuß herumgelaufen, Lukas, ich habe meinen Schuh verloren, aber sonst finde ich Sie sehr, sehr hilfsbereit, wirklich, und es tut auch fast nicht mehr weh...«
»Hier«, sagte Berndorf und reichte ihr den Schuh.
»Danke.« Sie zog ihn sich vorsichtig an, blieb aber sitzen und sah zu Lukas auf, in der Dunkelheit waren weder Blick noch Gesichtsausdruck zu erkennen. »Nachdem wir uns jetzt glücklich gefunden haben, könnten wir uns eigentlich ein bisschen unterhalten, oder müssen Sie jetzt gleich wieder davonlaufen?«
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen«, antwortete der junge Mann abweisend.
»Als wir uns das erste Mal begegnet sind, wollten Sie eine Ringelnatter beobachten«, meinte Berndorf. »Jedenfalls sagten Sie so etwas. In Wirklichkeit, nicht wahr, haben Sie nach dem Schmuck gesucht?«
»Ich glaub nicht, dass ich das gesagt hab«, antwortete Lukas. »Aber Sie - Sie haben behauptet, Sie wollten das Haus mieten.«
»Das war gelogen«, sagte die Anwältin, »und wir bitten deshalb um Entschuldigung. Doch das mit der Ringelnatter habe ich auch so in Erinnerung.«
»Wissen Sie«, fuhr Berndorf fort, »wenn Sie nach dem Schmuck gesucht haben, dann bedeutet das, dass Sie es nicht waren, der ihn versteckt hat. Aber es bedeutet auch, dass Sie eine Idee hatten, wer den Schmuck wo versteckt haben könnte … das hätte dann jemand sein müssen, der sich in dem Haus und in dem Garten ebenso gut auskennt wie Sie oder vielleicht noch besser …«
»Hören Sie auf!«, sagte Lukas.
»Ist es so, wie er sagt?«, fragte Elaine. »Natürlich können Sie vor uns ebenso davonlaufen wie vor der Polizei, vor mir sogar besonders gut, wie ich fürchte. Aber diese Frage - die werden Sie nicht abhängen können.«
Lukas schwieg. Berndorf hockte sich rechts neben Elaine an den Wegrand, sie sah zu Lukas hoch und klopfte auffordernd auf die Stelle links neben sich. Der junge Mann schien es in der Dunkelheit nicht wahrzunehmen oder tat vielleicht auch nur so, denn plötzlich ließ er sich neben ihr nieder, wenn auch mit einigem Abstand. Sie griff nach seinem Arm und zog ihn zu sich her. »Überhaupt müssen Sie vor mir nicht davonlaufen, ich beiß nicht«, sagte sie, »wir sind auch nicht in einem Vampirfilm, obwohl manches so aussieht, und die paar dämlichen Illustriertenbilder - geschenkt! Wenn Sie wollen, besorg ich Ihnen da noch ganz andere Sachen …«
Dann hörte sie auf zu reden, auch sonst sagte niemand ein Wort, und über den Baumwipfeln raste der halbe Mond durchs Lautertal.
»Wie geht das noch mal?«, sagte die Anwältin nach einer Weile: » Der Abend wiegte schon die Erde / und an den Bergen hing die Nacht / Schon stand im Nebelkleid die Eiche / Ein aufgetürmter Riese da / Wo Finsternis aus dem Gesträuche / Mit hundert schwarzen Augen sah … Kennen Sie das, Lukas?«
Von der linken Seite kam zögernd ein undeutliches »Nein, weiß nicht...«
»Sollten Sie aber«, meinte die Anwältin. »Junge Männer sollten so etwas kennen. Es ist ein Liebesgedicht.«
»Kaum«, widersprach Berndorf. »In Wahrheit ist es ein Gedicht über einen jungen Mann, der ganz schnell wieder das Weite sucht.«
»Bist du denn jetzt gefragt?«, wollte Elaine wissen.
Berndorf antwortete nichts, und wieder breitete sich Schweigen aus. Doch dann fragte die Anwältin, wie lange sie noch in diesem Wald bleiben würden. »Allmählich wird mir kalt.«
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte Berndorf. »Wir warten, bis Lukas uns sagt, warum er nach dem Schmuck gesucht hat.
Oder wir warten nicht, sondern suchen dort, wo weder er noch sonst jemand es bisher versucht hat …«
»Wo soll das geschehen, und vor allem: wann?«, fragte Elaine.
»Wenn wir Lukas daran beteiligen wollen, müssen wir es
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