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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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betrachte.
    »Sie sind Herr Walleter? Wendelin Walleter?«, fragte Dorpat, den Ausweis des Mannes in den Händen.
    »Einfach nur Wendel«, antwortete der Mann. »Wendel Walleter. Achtundsechzig Jahre alt. Rentner.«
    Rentner, dachte Dorpat. Auch Berndorf, mit dem er auf der Terrasse des Blausteiner Hauses einen Händedruck getauscht hatte, ein flüchtiges »Freut mich, Sie kennen zu lernen« murmelnd - auch Berndorf war Rentner, was hatten diese Leute sich einzumischen? Der Dicke war in Berndorfs Begleitung gewesen … »Welchen Beruf haben Sie früher ausgeübt?«
    »Fernfahrer.«
    Dorpat nickte; das sollte Wohlwollen zeigen. »Sie sind in den späten Abendstunden an einem geöffneten Grab im Blausteiner Friedhof angetroffen worden. Was haben Sie dort gesucht?«
    »Und weiter sah ich Gottlose, die begraben wurden und zur Ruhe kamen«, antwortete Walleter, »aber die recht getan hatten, mussten hinweg von heiliger Stätte und wurden vergessen in der Stadt.«
    »Bitte?«

    »Prediger acht, Vers zehn.«
    »Sie meinen, das war ein Bibelvers?«
    »Die Bibel meint nicht«, wies ihn Walleter zurecht. »Sie sagt, was ist.«
    »Na schön«, lenkte Dorpat ein. »Sie meinen … - Entschuldigung! In dem Grab lagen demnach Gottlose, und die wollten Sie deshalb ausgraben?«
    »Nein.«
    »Nein?«, wiederholte Dorpat. »Was also dann?«
    »Schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit.«
    »Sie wollen also keine Aussage machen? Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie mit einer Strafanzeige wegen Störung der Totenruhe rechnen müssen - darauf stehen bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Es liegt deshalb in Ihrem eigenen Interesse, uns Angaben zu machen, die Sie in irgendeiner Weise entlasten könnten.«
    »Böse Leute verstehen nichts vom Recht«, antwortete Walleter, »die aber nach dem HERRN fragen, verstehen alles.«
    »Verstehe ich recht«, Dorpat beugte sich nach vorn, »Sie wollen mich beleidigen?«
    »Sprüche achtundzwanzig, Vers fünf. Aber wenn Sie schon fragen: Muss ich Sie denn für einen guten Menschen ansehen? Und wäre es sonst eine Beleidigung?«
    Dorpat wollte tief durchatmen und ließ es sogleich wieder bleiben, denn die angebrochene Rippe stach mörderisch. Das Telefon schlug an, er nahm den Hörer ab und meldete sich.
    »Freundschuh hier«, meldete sich eine Stimme, »Wolfgang Freundschuh. Könnten Sie einen Streifenwagen schicken und mich abholen …«
    »Und warum sollten wir das tun, jetzt, um diese Zeit?«
    »Ich möchte eine Aussage machen«, sagte die Stimme. »Eine Aussage, betreffend den Tod meiner Mieterin …«
    »Ihre Mieterin ist tot?«, fragte Dorpat. »Sie haben sie gefunden?«
    »Nein«, sagte die Stimme und schien nach den richtigen Worten zu suchen. »Meine Mieterin ist oder war Frau Morny,
Frau Fiona Morny. Sie ist umgebracht worden, das wissen Sie doch?«
    »Ja«, sagte Dorpat bedächtig. »Und weiter?«
    »Nichts weiter«, antwortete die Stimme. »Es ist nur so - der sie umgebracht hat, das war ich.«
     
     
     
    Die Tischlampe warf einen scharf umrissenen Lichtkreis auf die Schreibunterlage. Sonst war das Hotelzimmer dunkel. Berndorf hatte den Ring in die Hand genommen, so dass die Kette sich auf der Schreibunterlage ringelte. Im Licht der Tischlampe traten die Gestalten des Reliefs - so klein sie waren - in einer unbewussten und gleichwohl sinnlich anmutenden Körperlichkeit hervor; sie schämten sich nicht und waren zugleich nur einen Schritt davon entfernt, es doch zu tun …
    Er schüttelte den Kopf, es führt zu nichts, eine solche Arbeit beschreiben zu wollen, das ist Sache der Kunstexperten. Seine Sache war, diesen Schmuck erst in Sicherheit und dann dorthin zu bringen, wohin er gehörte.
    Wo immer das war.
    Auf keinen Fall konnte er ihn länger bei sich haben. Er würde ihn morgen früh als Erstes - ja was? In ein Schließfach bringen? Nein, dann müsste er sich ausweisen. Also blieb nur die Post. Da war der Schmuck erst mal unterwegs.
    Das Handy, das er auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, begann zu schnurren und zu rütteln. Er nahm es, meldete sich und atmete tief durch, denn es war Barbara.
    »Ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dich noch zu erreichen«, sagte sie. »Müsstest du nicht längst im Bett sein?«
    »Alte Männer brauchen nicht mehr so viel Schlaf. Aber zu deiner Beruhigung: Ich bin schon im Hotel, und morgen, so Gott will, werde ich diese Stadt verlassen. Unwiderruflich.«
    »Das haben wir schon mal gehört«, bemerkte Barbara skeptisch.
    »Jedenfalls ist mein

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