Beifang
Zucker achten.« Dann sah er aufmerksam von Dorpat zu Kuttler und wieder zurück. »Ich nehme an, Sie sind sich darüber im Klaren, dass ein neuerlicher Fahndungsaufruf in Sachen Morny das Absurdeste ist, was seit langem einem deutschen Staatsanwalt angetragen wurde. Genauso gut könnten wir den Hauptmann Morny auf freien Fuß setzen, von jetzt auf gleich, nur weil der Anwältin Drautz das so in den Sinn gekommen ist... apropos: Warum sollen wir diesen Fahndungsaufruf gerade in Stuttgart lancieren? Warum nicht in Schnaizlkreuth?«
Dorpat, der zu spät daran gedacht hatte, dass man mit einem Karamellbonbon im Mund nur schlecht ein Fachgespräch führen kann, wies auffordernd auf seinen Kollegen.
»Frau Dr. Drautz hat das aus dem Tachostand geschlossen«, antwortete Kuttler verlegen. »Auf diesen Gedanken waren wir allerdings auch schon gekommen...«
»Die Akten habe ich ebenfalls parat«, unterbrach ihn Desarts. »Und der Geistesblitz, der damals bei Ihnen eingeschlagen hat, lieber Herr Kuttler, der war von Anfang an ziemlich kurzschlüssig. Wenn die Morny vor ihrem Tod einhundertachtzig oder einhundertvierundachtzig Kilometer gefahren ist, kann sie in Stuttgart ebenso gut wie in all den anderen Orten gewesen sein, die irgendwie und ungefähr neunzig Kilometer von Ulm entfernt sind. Zudem haben Sie von Ihren Stuttgarter Kollegen die definitive und eindeutige Antwort bekommen, dass die Morny dort nirgendwo abgestiegen ist. Also?«
»Nach Ansicht der Anwältin Drautz beweist das nur, dass die Morny nirgendwo einen Meldezettel ausgefüllt hat«, wandte Kuttler ein und sah an einem ärgerlichen Kopfschütteln seines Vorgesetzten Dorpat vorbei.
»Eben!«, konterte Desarts. »Also gibt es noch nicht einmal einen Papierfetzen von Hinweis, dass die Morny in Stuttgart war. Daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, sie müsse gerade deshalb
dort gewesen sein, das ist so hirnrissig, dass es nur von dem nächsten Einfall dieser Dame übertroffen wird...« Er beugte sich vor, blickte zu Dorpat und wies noch einmal auf die Bonbonniere. »Darf ich Ihnen noch eines anbieten? Es sind auch ganz vorzügliche Schokobonbons dabei, mit Orangenaroma!«
Dorpat, der gerade dabei war, die Reste des Karamellbonbons hinunterzuwürgen, lehnte wortlos ab. Sein Gesicht war leicht gerötet.
»Aber zum nächsten Einfall der Dame Drautz!«, fuhr Desarts fort. »Ich bitte Sie jetzt, sich einmal diesen Gedankengang zu vergegenwärtigen: Aus dem umwerfenden Grunde, weil der Anwalt Eisholm von einem Großen Unbekannten gemutmaßt hat, soll dieser - statt in dem ihm gemäßen Dunkel zu bleiben - eilends nach Ulm gefahren sein, sich ungeachtet der Gefahr sofortiger Entlarvung in den Gerichtssaal gesetzt, sodann ausgerechnet jenen Anwalt Eisholm, der ihm doch angeblich auf der Spur war, zum Hauptbahnhof gelockt und ihn dort vor den Zug gestoßen haben... Diese Vorstellung ist so absurd, dass Anwalt Eisholm, käme ihm das zu Ohren, sich in dem Grab umdrehen würde, in dem er sich noch gar nicht befindet.«
»Sie geben uns also recht« - Dorpat schaffte es, wieder das Wort zu ergreifen - »dass weitere Ermittlungen im Fall Morny …«
»Die sind ausgeschlossen, Herr Hauptkommissar«, sagte Desarts nachdrücklich. »Und das meine ich nicht bloß, sondern sie sind es. Fiona Morny ist am späten Abend des zehnten Mai nach Hause zurückgekommen, und dort ist sie getötet worden: Und genau das ist das Geschehen, das wir aufzuklären hatten und aufgeklärt haben. Nichts anderes...« Für einen Augenblick schwieg er und warf einen nachdenklichen Blick erst auf Dorpat, dann - und dies fast sorgenvoll - auf Kuttler. »Ich möchte hier noch etwas klarstellen. Was ich Ihnen gesagt habe, das ist nicht die Laune oder die Weisheit des kleinen Staatsanwalts Desarts mit seiner komischen Bonbonniere. Es ist dies die Linie der Staatsanwaltschaft dieses Landes. Punkt.«
»Das alles steht außer Frage«, antwortete Dorpat. »Auf der anderen
Seite müssen wir nach dem Tod von Eisholm jeder denkbaren Möglichkeit nachgehen...«
»Exakt«, unterbrach ihn Desarts. »Jeder denkbaren Möglichkeit! Also nicht mit einem Fahndungsaufruf in Stuttgart, der nichts bringen kann, sondern mit einem Fahndungsaufruf hier in Ulm. Wer hat gestern Abend Eisholm im Hauptbahnhof oder auf dem Weg dorthin gesehen und in welcher Gesellschaft? Das ist es, was wir wissen müssen.« Er runzelte die Stirn. »Sie wissen, dass er gestern Abend noch den Vorsitzenden Richter Veesendonk aufgesucht hat? Er
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