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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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»Aber es wird die erste gewesen sein, wenn man von München kommt.« Auf dem Weg zum Parkhaus Salzstadel kamen sie an Tonios Café vorbei, wo vorne am Tresen - Berndorf
bemerkte es im Vorbeigehen - Wendel Walleter saß, darauf wartend, dass sich zum nächsten Akt seines Welttheaters der Vorhang hob.
     
    Die Anwältin hatte ihren Wagen in einem der finsteren und verwinkelten Untergeschosse des Parkhauses abgestellt, dem dritten, wie sie sich erinnerte. »Zahlen kann ich mir gut merken.« Zu Berndorfs Überraschung fand sie ihr Fahrzeug ziemlich mühelos: Sie drückte auf die Fernbedienung des Türschlosses, woraufhin in einer der dunklen Ecken die Parkleuchten eines Roadsters rot aufflammten. Berndorf musterte den Wagen: Speichenräder, Klappverdeck, das Chassis karmesinrot lackiert.
    »Gefällt Ihnen mein Auto nicht?«
    Berndorf hob beschwichtigend die Hand und hievte sein linkes Bein, dessen Kniegelenk für solche Einstiege zu steif war, vorsichtig in den Wagen, ehe er sich auf den hart gepolsterten Beifahrersitz hinabließ. Als er die Beine ausstreckte, hatte er das Gefühl, gleich die Kühlerhaube herauszustemmen.
    »Natürlich pflegen meine Beifahrer sonst jünger zu sein«, bemerkte die Anwältin und startete den Wagen. »Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen: sehr, sehr viel jünger. Was ist eigentlich mit Ihrem Bein?« Sie stieß zurück, legte den Vorwärtsgang ein und schoss auf die Ausfahrtsrampe zu. Als sie die Tiefgarage verließen, dirigierte Berndorf sie nach rechts, ohne auf ihre Frage einzugehen.
    »Es ist mir völlig schleierhaft, warum ich mit Ihnen in dieser Stadt herumfahre«, bemerkte sie, als sie vor der nächsten Ampel warten mussten. »Das ist eine ziemlich langweilige Stadt, und auch Ihr Unterhaltungswert ist … na ja, Sie werden sich selbst keine Illusionen darüber machen!« Die Ampel sprang auf Grün, und der Roadster fuhr ruckartig an. Lange wird die Kupplung nicht halten, dachte Berndorf.
    »Waren Sie eigentlich mit Eisholm befreundet?«
    »Wir hatten ein paar Mal miteinander zu tun«, kam die Antwort. »Befreundet kann man das sicher nicht nennen.«
    »Es hätte mich auch gewundert«, erklärte die Anwältin und
schaltete krachend einen Gang zurück. »Damit will ich ausnahmsweise nicht Sie beleidigen.«
    »Sie sind sehr freundlich zu mir«, sagte Berndorf. »Nach der nächsten Kreuzung bitte rechts!«
    »Sie wollen nicht wissen, warum ich mich gewundert hätte?«
    Sie bog ab, in eine von kahlen Bäumen bestandene Straße.
    »Ein Händchen für Freundschaften hatte der Verstorbene offenbar nicht«, antwortete Berndorf. »So weit war ich auch schon... halten Sie hier!« Die Anwältin stoppte den Wagen vor einem kubusförmigen Glasbau.
    »Und Sie...«, fragte sie, den Kopf ihm zugewandt, »warum wundern Sie sich eigentlich nicht über meinen ebenfalls ganz offenkundigen Mangel an - wie soll ich das nennen? - über meinen Mangel an emotionaler Betroffenheit?«
    Der Roadster war ein kleines enges Fahrzeug, und so waren ihre Gesichter einander plötzlich sehr nah. So nah, dass auch das Make-up nicht mehr verbergen konnte, wie wenig Elaine Drautz zuletzt geschlafen hatte.
    »Sie sprechen von Trauer?«, fragte Berndorf zurück und öffnete die Tür. »Es gibt keine Vorschriften dafür.«
    Die Anwältin zuckte mit den Achseln, stieg aus und sah ungeduldig zu, wie Berndorf sich aus dem Roadster schälte. Dann ließ sie die automatische Türverriegelung zuschnappen, und gemeinsam gingen sie auf den Glaskubus zu, dessen Scheiben jetzt den Blick auf Menschen freigaben oder genauer: den Blick auf deren Köpfe und Oberkörper. Der Rest dieser Körper schien in Maschinen eingespannt, die mittels Räder, Hebel oder auch Zugseilen bedient werden mussten.
    »Galeerensklaven!«, murmelte Berndorf.
    »Sie sind so altmodisch, dass Sie vermutlich auch noch stolz darauf sind«, bemerkte die Anwältin.
    »Wenn die Kupplung von Ihrem Auto vollends hinüber ist und Sie noch einmal einen Roadster kaufen, nehmen Sie keinen mit einer Fernbedienung«, bemerkte Berndorf. »Das ist nicht authentisch.«
    Noch immer regnete es, sie gingen zu dem Glaskubus und
durch eine sich automatisch öffnende Tür zur Anmeldung. Ein drahtiger junger Mann in einem Sportdress näherte sich, die Augen erwartungsvoll auf die Anwältin gerichtet.
    »Ich suche die Gitte«, sagte sie und warf einen bewundernden Blick auf die muskulösen Oberarme des jungen Mannes.
    »Gitte?«, fragte der zurück, ein wenig misstrauisch. »Und

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