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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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telefonierte, »Konrad
Richard Österreich Theodor Theodor Ludwig Emil... Ach ja, natürlich war er nicht nur einmal bei Ihnen abgestiegen, der Aufsichtsrat musste letztes Jahr ja mehrmals zusammentreten, das ist ja ein dickes Ding - ich meine, dass ich Ihnen das nicht gleich gesagt habe... Und Sie machen mir einen Ausdruck, mit allen Aufenthalten?« Sie gab die Münchner Adresse der Kanzlei Eisholm und Partner an. »Das ist doch schön, dass manches auch sehr schnell gehen kann...«
    Elaine sah zu, wie die Frau das Handy ausschaltete und es fallen ließ und sich mit beiden Händen an der Tischkante festhielt.
     
     
     
    Die Körpergröße eines deutschen Bürgers ist zwar nicht in seinem Ausweis, wohl aber in seinem Reisepass eingetragen. Das war der Grund, warum der Kriminalbeamte Edwin Hummayer grundsätzlich seinen Pass mit sich führte. Dort stand, dass er ein Meter vierundachtzig groß war. Dies traf auch zu. Dennoch wurde er von jedermann nur der kleine Hummayer genannt, und hätte jemand von ihm gesprochen und das »klein« weggelassen, so wäre unweigerlich die Rückfrage gekommen: Hummayer - wer soll das denn sein?
    Seit wann oder warum das so war, wusste Edwin Hummayer nicht. Er hatte keinen größeren Bruder, überhaupt keinen Bruder, und sein Vater war niemals irgendjemandem aufgefallen, so dass man den Sohn von ihm hätte unterscheiden müssen. Es war eben so, und im Lauf der Jahre hatte sich der kleine Hummayer so weit damit abgefunden, dass er nicht einmal Schuhe mit höheren Absätzen mehr trug. Nur der Tick mit dem Reisepass war geblieben und auch die Gewohnheit, nach Möglichkeit aufrecht stehen zu bleiben.
    Auch an diesem Morgen stand er an die Wand des Büros gelehnt und sah zu, wie sein Kollege Schmoltze am Computer hantierte und nach den Anweisungen eines Zeugen ein Phantombild zu fertigen versuchte. Der Zeuge war ein groß gewachsener, nach vorn gebeugter Mann mit schütterem Haar und einer
dicken Hornbrille, Angestellter in der Kalkulationsabteilung eines Kaufhauses; Hummayer hatte ihn am Abend zuvor im Zug nach Ellwangen ausfindig gemacht.
    »Doch, den hab ich gesehen«, hatte der Zeuge gesagt, als ihm Hummayer das Foto vorhielt, »aus den Zeitungen kennt man den, das ist dieser Rechtsanwalt aus München, der übernimmt bloß Mordprozesse, darunter tut er’s nicht.« Er habe ihn auch gleich erkannt. »Ich hab mich nur gefragt, wozu will so jemand nach Ellwangen, und überhaupt - wieso fährt der mit dem Zug?«
    Wieso nach Ellwangen?
    »Das war in der nördlichen Unterführung, wo ich den gesehen hab... und die wird eigentlich nur von denen genommen, die zum Ellwanger Zug wollen.«
    Gut. Aber war Eisholm allein gewesen?
    »Nein, da war noch einer dabei, aber auf den … also auf den hab ich nicht weiter geachtet.«
    Inzwischen hatte er sich darauf festgelegt, dass der zweite Mann jedenfalls nicht viel größer als Eisholm gewesen sei, aber auch nicht viel kleiner, dass seine Gesichtsform oval gewesen sei...
    »Aber das Kinn, das war stärker, kantiger.«
    Schmoltze veränderte einige Einstellungen, und dem Durchschnittsgesicht auf dem Bildschirm wuchs der kräftige Kiefer eines steinzeitlichen Jägers zu.
    »So viel auch wieder nicht.«
    Lautlos öffnete sich die Tür zu Schmoltzes Büro, Kuttler glitt herein und stellte sich neben Hummayer. Auf dem Bildschirm baute sich inzwischen ein Männergesicht mit vorspringender Nase, tief eingegrabenen Falten und kantigem Kinn auf. Unter den stark ausgeprägten Augenbrauenbögen blickte das Gesicht finster und bedrohlich.
    »Ich weiß nicht«, sagte der Zeuge und schob sich mit seinen dicken Brillengläsern noch näher an den Bildschirm heran. »Er müsste noch etwas älter sein, über die Fünfzig auf jeden Fall …«

    »Sagen Sie mal«, fragte Kuttler, »wie viel Dioptrien hat eigentlich Ihre Brille?«
    »Zwölf und zehneinhalb«, antwortete der Zeuge und drehte sich um, unsicher nach dem neu Hinzugekommenen äugend, »warum fragen Sie?«
     
     
     
    Und wieder Wälder, Hügel und Bayerns barocke Kirchtürme, diesmal in der anderen Richtung, diesmal am Tage, einem gar nicht weißblauen, sondern einem grauen, unentschlossenen Tag, der nicht wusste, ob er es vielleicht doch noch regnen lassen sollte. Der Mann, der im Fahrtgeräusch vor sich hindöste, den Kopf halb in den am Abteilfenster aufgehängten Mantel geschmiegt, fühlte sich müde und merkwürdig leicht zugleich, beides deshalb, weil er in der letzten Nacht sehr wenig geschlafen hatte.

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