Beifang
Wilma Rohm, »das müssen Sie mir schon erzählen.«
»Ganz genau wissen Sie das! Sie sind doch eine von denen«, fauchte Gina, und ihr mit Schildpatt bewehrter Zeigefinger schnellte auf sie zu. »Eine Stunde später kam so ein Polizeiwagen die Straße herunter, mit Blaulicht, aber ganz ganz langsam, als ob ihm gleich der Motor ausgehen tut, und der Kerl - wissen Sie, was der Kerl getan hat? Er ist einfach weggefahren.«
»Und dann Polizei sage, was ihr wolle? Da war ja gar keiner«, ergänzte ihr Mann.
Wilma Rohm überlegte, ob sie dies alles aufschreiben solle. Ivo Dorpat würde es nicht lesen wollen. Niemand wollte so etwas lesen. Im besten Fall würde man sagen, es habe sich hier um ein Missverständnis gehandelt. Um ein Missverständnis von Leuten, die der Polizei leider mit Vorbehalten gegenüberstehen.
»Der Herr Sawatzke ist also die ganzen Tage hier gewesen und hat das Café beobachtet?«, fragte sie, und es fiel ihr selbst auf, wie besorgt ihre Stimme klang.
»Sicher, jede Tag«, sagte Ginas Mann.
»Wirklich?« Wenn das so war, dachte Wilma Rohm, dann war der Traum von ihrem Fahndungserfolg zerplatzt wie eine Seifenblase. »Auch am letzten Mittwoch? Dem dreizehnten Februar?«
»Wieso Mittwoch? Da haben wir Ruhetag«, kam Ginas Antwort. »Und am Ruhetag sind wir drüben, in der Schweiz. Da traut er sich nicht hin.«
»In unsere Haus viele andere Italiener«, erklärte ihr Mann. »Hab dene gesagt, dass aufpasse.«
Kuttler stellte den Wagen in einer Tiefgarage ab, die er deshalb kannte, weil zwei Straßenblocks oberhalb davon die Justizgebäude lagen, in denen Landgericht und Oberlandesgericht untergebracht waren. Er ging aber in die entgegengesetzte Richtung, durch eine Unterführung kam er zu den Anlagen, die vom Landtag, dem Neuen Schloss und dem Opernhaus des Staatsschauspiels gesäumt waren; an dem seltsam siebeneckigen See, der dort angelegt war, sollte er warten.
Schon auf der Albhochfläche hatte es zu regnen begonnen, mit schweren Tropfen, die auf der Windschutzscheibe zerplatzten, als seien sie eigentlich Schneeflocken. Ein paar Kilometer weiter hatte tatsächlich Schneefall eingesetzt, hier unten aber, im Stuttgarter Talkessel, war es nur noch nasser, kalter Regen, der vom Himmel fiel.
Notgedrungen zog er die Mütze über den Kopf, die ihm Puck gekauft hatte; es war eine nachgeahmte Militärmütze ähnlich der, wie sie die Soldaten der Südstaaten getragen hatten. Jedenfalls in irgendwelchen Filmen, die Puck gesehen hatte.
Niemand - außer ihm - ging durch die Anlagen, offenbar wollte auch niemand zur Vorverkaufskasse des Staatsschauspiels. Die Regentropfen platschten in den See, und man hätte zusehen können, wie die Tropfen auf die Wasseroberfläche auftrafen und kurz wieder hochgeschleudert wurden.
Aber niemand wollte es sehen.
Wozu war er hierhergekommen? Kuttler zuckte mit den Schultern. Er fröstelte. Er sah sich um, noch immer war niemand zu sehen, und so ging er bis zum Staatsschauspiel und die Treppe hinauf, um sich am Hauptportal unterzustellen. Ein Plakat über ihm kündigte die »Traviata« an, er überlegte, was er von Puck wohl zu hören bekäme, wenn er sie in die Oper einladen würde, vielleicht gefiele es ihr sogar...
Ein kleiner schwarzer Hund erschien am Anlagensee, verharrte kurz, als wüsste er nicht, ob er die rechte oder die linke Seite wählen sollte, und lief dann links weiter, also an der dem Opernhaus zugewandten Seite vorbei. Zielstrebig tat er das, als habe er die Aufgabe, den See zu inspizieren, und auch vom Regen ließ sich das Tier nicht weiter stören, nur einmal blieb es stehen und schüttelte sich, dass eine Wolke von Sprühregen aus dem krausen schwarzen Fell ausstäubte. Schon lief der Hund weiter, verließ den Anlagensee und kam schnurstracks auf das Opernhaus zu, sprang die Treppe herauf bis zu Kuttler, setzte sich auf die Hinterläufe und tatschte zweimal kurz und bettelnd mit der rechten Vorderpfote in die Luft.
Kuttler hasste solche dressierten Tiere, nein, er hasste nicht
die Tiere, sondern die Dressur. Doch hier war der Fall klar, Kuttler griff nach seiner Brieftasche, aber wie zahlt man einem Hund Bestechungsgeld und wie viel? Er entschied sich für einen Zwanziger und überlegte, ob er den Schein dem Hund irgendwie ins Halsband stecken könnte. Noch ehe er sich’s versah, sprang der Hund aus dem Stand hoch, schnappte mit der Schnauze den zusammengefalteten Schein und rannte davon.
Kuttler war wieder allein, der Wind
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