Beifang
frischte auf und trieb den Regen in seinen Unterstand hinein.
»Ein Wetter ist das! Dass man keinen Kieberer hinausjagen möchte«, sagte eine Stimme neben ihm. Kuttler sah auf. Ein mittelgroßer, schmächtiger Mann war neben ihn an das Portal getreten: Manfred Rauth, der Pudelmann. Er trug einen Dufflecoat und hatte die Kapuze übergezogen. Auch das Gesicht war mager, aber der Dreitagebart sah aus, als würde er regelmäßig getrimmt.
»Man kann es sich nicht aussuchen«, antwortete Kuttler und warf einen Blick auf das Schuhwerk des Pudelmannes: Schnürstiefel, die Sohlen nicht abgelaufen, das Leder nicht rissig. Neben dem Mann saß der kleine schwarze Hund, den Kopf erhoben, wachsam, selbstbewusst.
»Schauen Sie nicht, als ob Sie mir die Zehen lutschen wollten«, sagte Rauth, »auch hab ich kein gülden Ringlein daran.«
»Die sind im Tragen nicht sehr praktisch, was?«, meinte Kuttler. »Übrigens würde mich ein Kaffee mehr interessieren.«
»Mehr als was?«
»Mehr als das, wo Sie Ihre goldenen Ringlein tragen. Wenn Sie wissen, wo wir hier einen ordentlichen Kaffee bekommen, lad ich Sie ein.«
»Kaffee!«, antwortete Rauth verächtlich. »Aber wie Sie meinen. Aber wir müssen ein paar Schritte gehen. In die feinen Lokale hier gehen meine Bitsch und ich nicht hinein...«
Er zog den Verschluss seines Dufflecoats hoch, ging die Treppe hinab und schlug den Weg zum Landtag ein.
Kuttler folgte. »Warum nennen Sie den Hund bitch ?«
»Weil sie eine Hündin ist.«
»Haben Sie keinen freundlicheren Namen? Es ist ein nettes Tier.«
»Warum soll Bitsch kein freundlicher Name sein? Und überhaupt: Warum sollen Namen freundlich sein? Ist das Leben vielleicht freundlich?« Rauth blieb stehen. Links von ihnen lag der Landtag, und seine in der Farbe von Bronze getönte Glasfassade spiegelte den Zug der Wolken. »Das da heißt Landtag«, sagte er, »tagt da vielleicht das Land? Sagen Sie es mir, Sie sind ein Beamter. Beamte müssen so etwas wissen.«
Kuttler hatte keine Lust, zu antworten. »Wo, sagten Sie noch mal, gibt es einen Kaffee?«
Wendel Walleter stand, die Hände in die Hüften gestützt, den Kopf zurückgelehnt, vor der Turmruine des Benediktinerklosters Hirsau und sah zu dem Steinfries hinauf. Er schien zu lauschen, als sprächen die Gestalten auf dem Fries durch die Jahrhunderte zu ihm.
»Wenn das Engel sind«, meinte die Anwältin, »sind sie ein wenig kurzbeinig, und in die Breite geraten sind sie auch. Wie bei einem Fernseher, bei dem das Format falsch eingestellt ist.«
Berndorf schwieg. Er vermutete, dass der Boden um die Ruine aufgeschüttet war und die Betrachter den Fries früher von viel weiter unten gesehen hatten. Aber er hatte keine Lust, auch noch Theorien über die Perspektiven romanischer Bildhauerei zu erfinden.
»Das ist der gute Hirte«, erklärte Walleter und deutete zu einer der Gestalten. Dann bekam seine Stimme einen anderen Klang. »Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich.«
Die Anwältin zog ein Gesicht, nicht gerade säuerlich, aber auch nicht sehr weit entfernt davon, und betrachtete Walleter mit einem Blick, als wollte sie sagen, dass der gute Hirte ein wenig mehr auf das Übergewicht seiner Schäflein achten sollte.
Berndorf wandte sich ab. Der frische Wind, der von den
Schwarzwaldhöhen herabzog, tat seinem Kopf gut. Es roch, als würde der späte Winter noch Schnee bringen.
Die Anwältin hängte sich bei Berndorf ein und meinte, weiter unten in dem Dorf oder Städtchen gebe es gewiss ein Café.
»Auf einmal bist du ein wenig schweigsam«, sagte sie, als sie durch den Kreuzgang Richtung Ortsmitte gingen.
»Stört es dich?«
»Ich frage nur. Hat dieser steinerne Hirte vielleicht auch zu dir gesprochen, wie zu ihm?« Mit dem Kopf wies sie auf Wendel Walleter, der ihnen in einigem Abstand folgte.
»Kann sein. Irgendetwas über das Erkennen. Oder die Erkenntnis.«
»Wie man jemanden erkennt, meinte er das?«
»Das wohl gerade nicht. Aber ich habe ihn nicht verstanden.«
»Und warum nicht?«
»Ich glaube, er sprach aramäisch.«
»Und er kann es nicht übersetzen?« Wieder wies sie auf Walleter.
»Wir können es ja versuchen«, meinte Berndorf und blieb stehen. »Wendel - hätten Sie vielleicht bei Salomo oder sonst wo etwas parat über das, was der Mensch versteht oder wissen oder begreifen kann?«
Walleter war stehen geblieben. »Was der Mensch wissen kann?«, fragte er zurück. »Da gibt es, glaube ich, nicht so arg
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