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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Dresen
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habe ihr auf dem Gang vor ihrem Büro, zugegebenermaßen etwas unvermittelt, den Krieger II vorgeturnt. Seitdem hält sie mich vermutlich für einen ausschließlich fitnessorientierten, geistlosen Angeber und hat immer einen spöttischen Zug um die Mundwinkel, wenn sie mich sieht.

    Endlich geht es los. Der einleitende Om-Gesang klingt aufgrund des hohen Männeraufkommens ungewohnt basslastig, die einsamen Frauenstimmen sind kaum zu hören, vielleicht hat die Männerdominanz den Yoginis schon vor den einleitenden Atemübungen die Stimmritze verschlossen. Bei den Übungen selbst legen sich die Männer ins Zeug, dass es eine Freude ist. Aufschauender Hund, abschauender Hund, schiefe Ebene, Kobra, kaum von der Lehrerin ausgesprochen, hat die Männerriege den Befehl auch schon befolgt und schaut sich, Beifall heischend, verstohlen nach den wenigen Frauen um. Diese aber benehmen sich wie auch sonst in den Kursen: Sie führen die Übungen konzentriert und effizient aus und scheinen keinerlei Notiz von uns Männern zu nehmen.
    Daran ändert sich auch nichts, als ein paar Männer, endlich aufgewärmt und sogleich durchgeschwitzt, ihre Oberteile vom Körper zerren. Nicht alles, was da zum Vorschein kommt, hat Öffentlichkeit verdient.Viel weiße Haut ist zu sehen, es schwabbelt und quillt und tropft zum Fremdschämen heftig, gerne auch auf die studioeigenen Leihmatten. Die nachfolgenden Mattenbenutzer täten gut
daran, nicht näher an den Unterlagen zu schnuppern, obwohl manche Übung (Stirn auf den Boden) genau das fordert. Ich jedenfalls beschließe, NIE mehr ohne meine eigene Matte aufzutauchen, auch wenn das verlangt, dass ich sie den ganzen Tag, auch bei auswärtigen Geschäftsterminen, mit mir führe. So kommt es, dass ich auch schon zu einem Gerichtstermin mit meiner rosa Matte erschienen bin. Unter der Robe befand sich an diesem Tag übrigens ein T-Shirt mit der Aufschrift „Peace“, ohne dass ich deshalb den Prozess verloren habe.
    Doch zurück zu den halb nackten Geschlechtsgenossen. Woher nehmen diese Jungs das Selbstvertrauen und auch die Dreistigkeit für diese ästhetische Umweltverschmutzung, frage ich mich. Sollen sie doch gleich zum Nackt-Yoga gehen, aber das gibt es ja bislang nur in Berlin, die werden schon wissen, warum.
    Die übereifrige Männerdominanz ist schnell gebrochen, als die Lehrerin die Übung Kompass ankündigt. Dabei soll man sich in eine Art Liegestütz begeben, sich ein Bein auf die Schulter legen und es mit der anderen Hand hochheben. Wer es schafft, scheint dann mit einem Bein in der Luft zu schweben.Wer von uns Männern überhaupt dazu kommt, das Bein in Schulterhöhe zu stemmen, kracht unwillkürlich auf den Boden. Die Yogini vor mir schafft das mühelos. Ebenso die Haltung, bei der sie auf einem Bein steht und das andere am großen Zeh fassend in die Höhe hält. Ich schaffe es gerade so in Hüfthöhe, während sie stehend das Bein auf Augenhöhe hebt.
    Noch klarer wird die Diskrepanz, als es heißt: Kopfstand. Die Frauen beugen sich kurz vor, falten die Hände unter dem Scheitel, recken die Beine und stehen daraufhin sämtlich ruckzuck und tadellos senkrecht im Raum. Die Männer aber schwärmen in alle Richtungen aus und suchen einen Platz an einer Wand, um bei ihren eher unbeholfenen
eigenen Versuchen nicht mitten im Raum umzukippen, sondern wenigstens von der Wand aufgefangen zu werden. Die Frauen tun weiter so, als hätten sie auch das nicht bemerkt, aber ich bin sicher, sie haben diesen weiteren Triumph des Weiblichen sehr wohl registriert. Ich meine, einen etwas herablassenden Ausdruck in ihren Augen zu sehen, als sie am Ende der Stunde ihre Matten einrollen und hoch erhobenen Hauptes zwischen uns am Boden sitzenden Männern hindurchlaufen und den Raum verlassen, mit einem Kopfschütteln für die besonders empfindsamen Männer unter uns, die sich zum Schutz gegen Zugluft in Decken gehüllt haben und aussehen wie Wichtelmännchen.

    In der Männerumkleidekabine herrscht nach der Stunde eine schulterklopfende Solidarität. Man nickt sich zu im Bewusstsein, etwas ganz Besonderes ausgestanden zu haben. Ich werde mich wohl an Männergespräche über die präferierte Bodylotion („Ah, mit Ingwer-Zitronenduft“) gewöhnen müssen. Und schon bald werde ich es für völlig normal halten, wenn mich ein Yoga-Kollege fragt: „Du sag mal, hast du Gesichtscreme dabei, die du mir kurz borgen kannst? Ich habe meine vergessen.“Nein, kann ich nicht. War schweineteuer. Kauf dir doch selbst

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