Beim ersten Om wird alles anders
gewöhnliche Yoga-Stunde für Fortgeschrittene werden sollen. Montagabend, da ist es meistens nicht sehr voll, keine besonderen Vorkommnisse zu erwarten. Obwohl ich wie meist eine halbe Stunde vor Kursbeginn im Loft ankomme, um mir einen einsamen Platz in der hinteren Ecke des Yoga-Raums sichern zu können, merke ich schon in der Umkleidekabine, dass etwas anders ist. Trotz der frühen Zeit sind bereits nicht weniger als vier Männer gemeinsam mit mir im Raum und ziehen sich um.
Im Yoga-Raum setzt sich der Eindruck fort, dass ich einem ganz besonderen Tag, einer Zeitenwende vielleicht,
beiwohne. Offenbar hat sich der Kreis geschlossen. Vom alten Indien, wo über Jahrtausende ausschließlich Männer Yoga praktizierten, über die letzten 30 Jahre, in denen Yoga ausschließlich weiblich besetzt war, bis hin zum Jetzt, wo die Männer die alte Ordnung wiederherzustellen scheinen und die Oberhand gewonnen haben.
Jedenfalls heute Abend. Denn wir Männer sind in der Überzahl. Im Yoga-Raum zähle ich sieben nicht mehr ganz junge Männer und nur vier Frauen. Bei uns sieben handelt es sich um Männer, die mit jeder Pore Yoga zu leben scheinen. Einer hat sich in ein knallgrünes Shirt mit aufgebrachter Rippenstruktur gezwängt, das die Figur betont, vielleicht auch stützt. Die anderen tragen, obwohl es in Yoga-Räumen nicht gerade kalt ist, zum Aufwärmen lange Jacken, lange Hosen und Ringelsocken.
Vor Beginn der Stunde liegen die Männer vorschriftsgemäß entspannt auf der Matte und dehnen die Beine mit dem Band oder spreizen hüftöffnend die Oberschenkel mit einer Hingabe, die ganze Seminare zum Gender Mainstreaming füllen könnte. Besonders beeindruckend ist das Verhalten eines Herrn. Er wedelt ausdauernd und mit sichtbarer Freude an seiner Fertigkeit mit den Händen wie ein Flugzeugeinweiser auf einer Rollbahn. Ihm fehlen nur die schönen leuchtenden Stäbchen.
Einer immerhin macht, was Männer tun müssen. Er prahlt mit seinen Künsten, indem er sich schon zum Aufwärmen in den Handstand begibt. Gut macht er das, lange bleibt er oben. Dafür hat er sicher hart geübt, aber wer derartiges Angebertum praktiziert, genießt nur kurz die kollektive Beachtung und muss sogleich mit zwar nicht ausgesprochener oder gezeigter, jedoch spürbarer Herablassung der anderen rechnen. Ein richtiger Yogi gibt nicht an.
Fast alle Teilnehmer haben, wie von den Frauen abgeschaut, Handtücher in Pastellfarben neben sich gelegt. Im weiteren Verlauf der Stunde entledigen sich die Männer entsprechend ihres Erhitzungszustandes Schicht für Schicht ihrer Kleidung, und nachdem sie sich tüchtig aufgewärmt haben, schälen sie sich auch noch aus ihren Socken, genau wie sie es von den Yoga-Frauen vorgelebt bekommen. Bei einem Teilnehmer erkenne ich sogar zwei übereinander getragene Paar lange Strümpfe, die er ebenfalls erst sorgsam ablegt, als er ausreichend erhitzt ist. Ein anderer spreizt die Beine und legt ein Batiktuch lendenschurzartig über seinen Unterleib bis zu den Knöcheln.
Als einzigen verbliebenen Macho taxiere ich, beinahe peinlich berührt von mir selbst, mich in meinem Outfit aus blauem Muscle-Shirt und roten Hawaiishorts. Ich komme barfuß, ohne lange Aufwärmkleidung. Ich habe selbstverständlich kein Handtuch bei mir.Wenn ich schwitze, tropfe ich auf die Matte oder wische mir mit dem Hemd übers Gesicht. Zur Vorbereitung beuge ich mich einmal über das linke Bein und einmal über das rechte Bein. Das reicht, meine Hüften sind auch so hinreichend geöffnet, von mir aus könnte es jetzt losgehen.
Bis die Stunde beginnt, dauert es aber noch. Zwei Männer haben sich tuschelnd ins Gespräch über die Matten hinweg vertieft und finden kein Ende. Der Batiktuchträger hat sich auf die Seite gedreht und versucht, möglichst lässig mit einer bildhübschen, schultertätowierten Blondine ins Gespräch zu kommen.
Ich entdecke eine ebenfalls blonde, mindestens genau so attraktive, nach äußerem Anschein zudem noch untätowierte, dafür aber promovierte Arbeitskollegin aus einem unserer elitärsten Verlage. Mit ihr ins Gespräch zu kommen, ist nicht nur wegen ihres sicher nur zufällig gewählten Platzes an der gegenüberliegenden Wand, also so
weit weg von mir, wie das überhaupt möglich ist, aber nicht angebracht. Als wir uns vor Kurzem im Verlag zufällig begegneten, im Gespräch auf das Thema Yoga kamen und entdeckten, dass wir dasselbe Yoga-Studio bevorzugen, habe ich einen, wie es scheint, irreparablen Fehler gemacht. Ich
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