Beim ersten Om wird alles anders
des Jungen mit dem Namen Krishna. Er ist eine der wichtigsten indischen Gottheiten und wird immer mit einer Flöte und in Begleitung von Kühen dargestellt, meist hat er eine blaue Hautfarbe. Er verführte alle Mädchen seines Dorfes. Trotzdem liebten ihn alle, ganz besonders Rada. Die Beziehung der beiden gilt den Hindus als Archetyp der Liebe der Götter zu den Menschen. Auch George scheint ganz angetan davon, denn die Minuten gehen ins Land und immer weiter erzählt er die
Geschichte von Rada und Krishna und von Krishna und Rada. Das ist sicher nett gemeint von dem amerikanischen Gastlehrer, aber trotzdem atmen viele auf, als es endlich an die praktischen Übungen geht. Auch hier ist Krishna allgegenwärtig. George kündigt an, uns heute länger als üblich in den verschiedenen Posen zu belassen, denn Krishna zeige sich üblicherweise dann, wenn man meine, nicht mehr weiter zu können. Ach nein, lass mal gut sein, den Burschen will ich heute gar nicht sehen, denke ich, hüte mich aber, dieses Sakrileg auszusprechen.
Zu diversen im Hintergrund laufenden Hare-Krishna-Songs kommen zackig Georges Kommandos: Inhale - Exhale (Einatmen, Ausatmen) und Downdog - Upwards looking Dog (auf- und abschauender Hund), „come deeper - enjoy“.
Nachdem er uns ziemlich gehetzt hat, unterbricht der Meister die Übungen auch schon wieder.Wir machen sie seiner Ansicht nach viel zu schnell und sind nicht richtig bei der Sache.Wir denken seiner Einschätzung nach auch nicht an Krishna, sondern eher an das Abendessen, so lautet sein Vorwurf. So sei das immer im Westen: Beim Frühstück dächte man schon wieder ans Mittagessen, beim Mittagessen ans Abendessen, nichts genieße man wirklich. Wir hetzten uns zu Tode.
In gewissem Widerspruch zu seinen nachdenklichen Worten geht es dann in unverändert hohem Tempo weiter. Wir praktizieren alle gebräuchlichen Übungen. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir persönlich der Bogen. Dabei liegt man auf dem Bauch. Die Arme greifen nach oben und hinten und umfassen die ebenfalls nach oben gestreckten Unterschenkel an den Knöcheln, sodass man ziemlich in der Luft hängt. Plötzlich tritt George neben mich, umfasst mit beiden Händen meine Hand- und Fußgelenke und hebt mich in die Höhe, als wöge ich nichts.
Ich fühle mich wie ein Gefangener in einem Urwaldfilm, der mit Armen und Beinen an einem Baumstamm gefesselt nach unten hängt und umhergetragen wird. Die Umstehenden quittieren dieses Beispiel von Georges „handson assist“mit Rufen des mitleidigen Erstaunens. Als er mich wieder loslässt, bin ich beruhigt, dass mein Rücken das ausgehalten hat. Andere Männer in meinem Alter ereilt mitunter schon beim Schließen der Schnürsenkel ein Bandscheibenvorfall. Mich kann man hochheben und wegtragen, und der Rücken macht mit.
Gleich im Anschluss zeigt er uns die Übung, die zu seinem Markenzeichen geworden ist. Dabei kniet man sich auf die Matte und presst sich im rechten Winkel gegen die aufgestellten Unterarme, bis man mit beiden Beinen waagrecht in der Luft steht. Auch diese Haltung überstehe ich ohne Gesundheitsbeeinträchtigung, allerdings nicht dem bei ihm typischen breiten Grinsen.
Eine letzte Überraschung hält dann die Endentspannung bereit. Üblicherweise ertönt in der abschließenden Ruhephase, wenn überhaupt, nur dezente Hintergrundmusik. Bei George aber darf eine weibliche Stimme vom Band zu meiner Verblüffung erklären, dass jeder, der lebt, wahre Realität nur ganz selten im Leben erfahre. Abgesehen vom eigenen Tod nämlich nur bei den sexuellen Höhepunkten. Yogis hätten es auch da besser. Sie erlebten das Gefühl unaufhörlicher sexueller Höhepunkte, dauernder Ekstase,Vereinigungen. Und selbst Trennungen (allerdings nur die von Gott) seien ekstatisch. Tja, bis dahin ist es zumindest bei mir noch ein weiter Weg, denke ich mir, denn unaufhörliche Höhepunkte mit oder ohne Zusammenhang zu meiner Yoga-Praxis habe ich bislang nicht erlebt.
Bevor ich mich gedanklich näher damit beschäftigen kann, ob ich dieses Ziel überhaupt für erstrebenswert halten soll, werde ich abgelenkt von den Worten der Bandstimme.
Die Nennung des in dieser Stunde allgegenwärtigen Krishnas, gelernt ist gelernt, ruft sofort und ausschließlich Assoziationen von blauer Hautfarbe, Flöte und Kühen hervor. So werden noch vor dem abschließenden Om-Gesang alle ungöttlichen Überlegungen im Keim erstickt.
Es ist so weit: Die Männer sind - die neuen Frauen
Eigentlich hätte es eine ganz
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