Beim ersten Om wird alles anders
gemacht, dass jetzt auch Männer Yoga machen, ist bei den normalen Matten nicht vorgesehen, probiere die doch mal aus.“Obwohl meine Schultern ganz prima in T-Shirts der Größe S passen, fühle ich mich geschmeichelt und nehme auf der ausgewählten Matte Platz, auch wenn sie viel rutschiger ist als andere Matten. Meine eigene habe ich heute nicht dabei.
Der Om-Eingangsgesang ist mir wieder eher unangenehm, weil außer dem Lehrer niemand mitsingt. Auch ich nicht. Ich fühle mich deshalb ein bisschen schlecht, schließlich hätte ich mich durch Mitsingen für die freundliche Übertreibung meiner Schulterbreite revanchieren können. Ich traue mich aber nicht. Der Kurs selbst ist etwas ganz Besonderes. Weil wir nicht viele Teilnehmer sind, kommt mir der Unterricht vor wie Einzelbetreuung. Ständig ist der Lehrer hinter, vor, neben mir. Kaum dass ich michs versehe, habe ich auch schon eine von ihm
verabreichte wärmende und wohlduftende Kräuterpaste an Hals und Rücken, was aber gar nicht so unangenehm ist. Da ich direkt neben einer Säule sitze, bekomme ich auch nichts von den drei anderen Teilnehmerinnen mit, was den Charakter des Einzelunterrichts noch verstärkt.
Bei allen Übungen, die ich sonst eigentlich ziemlich sicher beherrsche, legt mir der Lehrer als Hilfsmittel den Block unter, als müsste man mir den Einstieg besonders erleichtern, und auch sonst werde ich wie ein Anfänger behandelt. Ich lasse es wie ein wahrer Yogi einfach geschehen und übe dem Ende der Stunde entgegen, an dem mich Charlottes Bericht vom Kids-Yoga erwarten wird.
Kaum ist die abschließende Endspannung vorbei, höre ich auch schon Charlottes tapsige Schritte vor der Tür. Als ich herauskomme, sehe ich sie auf den Sitzpolstern vor dem Eingang. Sie hat rosa Wangen, sieht glücklich aus und ruft für alle gut hörbar: „Papa, du lahme Schnecke, da bist du ja endlich, wie lange soll ich denn noch warten?“Auf meine Frage, wie es ihr gefallen habe, antwortet sie: „Ehrlich gesagt, Papa, fand ich’s nicht so toll. Aber sag es der Lehrerin bitte nicht.Vielleicht war ich heute auch nur sehr müde.“
Ob es an der gemeinsamen Yoga-Erfahrung liegt, weiß ich nicht, aber als ich sie auf den Arm nehme und zur Umkleidekabine trage, wo wir noch ein wenig mit einem Gummiball spielen, sagt Charlotte unvermittelt etwas, was ich nie vergessen werde: „Du, wenn ich mir einen Papa aussuchen könnte, würde ich dich nehmen.“Yoga macht glücklich.
Ich habe meinen Hero - wiedergesehen
Alexandros habe ich seit Korfu nur drei, vier Mal gesehen und keinen einzigen Kurs bei ihm besucht. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, dass ich vor ihm einen gehörigen Respekt habe. Bevor ich ihm erneut unter die Augen trete, wollte ich ein besserer Schüler geworden und sicher sein, mich nicht zu blamieren.
Damals auf Korfu war ich noch entschuldigt, ich war der Verrückte, der sich nach gerade einmal drei Kursstunden zum Yoga-Retreat angemeldet und insofern einen Narrenbonus hatte. Nun aber ist es anders, ich habe seitdem viele Yoga-Stunden besucht und keine Ausrede mehr, wenn ich mich ungeschickt anstelle.
Ich bin ein bisschen nervös, als er mich noch vor dem Kurs auf seine Guru-Art kurz anspricht. Er läuft nach mir die Treppe zum Yoga-Raum hoch und erkennt mich offenbar von hinten. Ich trage, es ist tiefster Winter, meine roten Badeshorts und ein enges, blaues, ärmelloses Shirt. „Na, sommerlich luftig angezogen wie immer?“, spricht er mich an.Wie meist, wenn Alexandros etwas sagt, erwartet er keine Antwort. Man sollte seine Anreden deshalb nie als Einladung zu Gesprächen verstehen. Obwohl ich das eigentlich weiß, frage ich ihn, ob ich mich täusche oder ob er zurzeit häufiger im Studio Kurse gibt als in den letzten Monaten, wo ich ihn kaum gesehen habe. Verständnislos schaut er mich an. „Nein, wie kommst du denn darauf?“, antwortet er und geht weiter, ohne mich noch groß zu beachten. Ich hatte vergessen, dass ein Guru zwar ab und zu spricht, aber nicht auf Fragen zu antworten braucht.
Ich sitze auf der Bank vor dem Kursraum und warte zusammen mit anderen Kursteilnehmern auf das Ende des Vorgängerkurses. Alexandros setzt sich in der Nähe auf den Boden und sagt, dass es typisch sei für Yogis, dass sie sich überall, wo sie sich befinden, sofort bewegen. Kann sein, ich jedenfalls sitze und bewege allenfalls eine Augenbraue.
Endlich können wir eintreten. Ich treffe meine Kollegin Bettina, die den Vorgängerkurs besucht hat.Wir
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