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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Dresen
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für meinen Geschmack. Deshalb bin ich sehr froh, als ich lese, dass mein Studio Weihnachtsyoga anbietet. Da will ich hin.
    Ich setze mich am Nachmittag auf mein Fahrrad und fahre durch das fast menschenleere Schwabing. Freie Parkplätze, wohin man nur schaut. Das ist für mich neben dem Geräusch der zahlreichen über das Kopfsteinpflaster rollenden, aufdringlich röhrenden Porsche das Typische an diesem Stadtteil: Wer als Schwabinger auf sich hält, verlässt seine so überaus reizvolle und begehrte Wohngegend bei jeder sich bietenden Gelegenheit, um irgendwohin zu verreisen, wo es mutmaßlich noch schöner oder einfach auch
nur anders ist. An den Gardasee, in die Berge, ins Umland. An Wochenenden oder Brückentagen, in der Urlaubszeit und ganz besonders jetzt in den Weihnachtstagen geht es hier deshalb oft so ruhig zu, wie es früher einmal gewesen sein muss, als die Bewohner in einem kleinen Dorf und nicht in einem sich mondän gebenden Stadtviertel lebten.
    Ich bin an solchen Tagen besonders gerne in der Stadt, und auch heute erfreue mich an der ganz besonderen Weihnachtsstimmung. Ich radle durch den Englischen Garten, wo an fast jeder Ecke Akkordeonspieler stehen und trotz behandschuhter Finger virtuos die immer selben Weihnachtslieder spielen. Ich radle weiter, über die Leopoldstraße, wo im Schickimicki-Fitnesstudio, in dem ich in einem meiner früheren Leben regelmäßig trainiert habe, an den Fenstern im ersten Stock ein paar einsame Gestalten verbissen ihre Übungen am Fahrrad-, Lauf- oder Treppensimulator absolvieren. In der Dienerstraße werden von Unentschlossenen bei Dallmayr und Manufactum letzte Einkäufe getätigt, auf einem der vielen und trotz des dort perfekten Straßenzustands so münchentypischen Geländewagen ist - einem nach erfolgreicher Jagd erlegten, nach Hause zu transportierenden Tier gleich - ein Weihnachtsbaum befestigt. Hugendubel am Marienplatz hat noch starken Zulauf, Buchgeschenke gehen ja immer. Täusche ich mich oder sind noch mehr mittelalte Blondinen als sonst im Pelzmantel und mit dem unvermeidlichen Louis-Vuitton-Täschchen in der immer öder werdenden, boutiquenverseuchten Maximilianstraße zu sehen?
    Ich fahre an der ehemaligen Markthalle vorbei, die seit Jahren auf ein tragfähiges Vermarktungskonzept wartet. Kein Wunder, ich muss dabei an eine Ü-30-Party denken, die ich dort einmal bei meiner Suche nach investigativen Buchthemen besucht habe, die aber eher eine „knapp über 50“-Party war und mich veranlasste, über die Mühen
eines würdevollen Alterns nachzudenken und zu beschließen, die Räumlichkeiten nie mehr zu betreten. Ob das im selben Gebäude befindliche Edel-Yoga-Studio, das ich aus dem Augenwinkel sehe und nur anlässlich eines Schreibseminars ein Mal besucht habe, heute wohl großen Zulauf haben wird? Ob auch dort Weihnachtsprogramm läuft?

    In meinem Studio im Gärtnerplatzviertel ist der große Raum jedenfalls gut gefüllt. Schätzungsweise 60 bis 70 Frauen und Männer sitzen erwartungsfroh auf dem Boden, als Alexandros mit einem langen Om-Gesang unter Harmoniumbegleitung die Stunde eröffnet. Fast alle Schüler singen mit, ich bringe es einmal mehr nicht über mich und starre stattdessen nur möglichst meditativ in die Runde.
    Als der Gesang vorbei ist, fragt Alexandros, für wen das heute ein besonderer Tag sei, und bittet um Handzeichen. Immerhin die Hälfte, zu der ich nicht zähle, meldet sich. Natürlich ist das auch für mich ein besonderer Tag, ist schließlich mein erstes Weihnachtsyoga, aber das muss ja niemand wissen. An die Adresse der schweigenden Hälfte gerichtet erklärt Alexandros, dass es heute für uns alle ein besonderer Tag sein sollte. Einmal im Jahr muss es für jeden einen besonderen Tag geben. Yoga- und Alexandros-typisch fügt er aber an, dass dies der heutige Tag sein kann, aber nicht muss. Er empfiehlt, heute noch zu Hause zumindest eine Minute zu schweigen. Unabhängig von Weihnachten rät er, dass wir uns nur auf eine Sache konzentrieren sollen.Yoga ist, was man daraus macht.Wir sollen im Hier und Jetzt leben und für den Moment die Vergangenheit vergessen, wir sollen die Zukunft vergessen. Diese Sätze wirken geschrieben wie Allgemeinplätze, aber wenn Alexandros sie ausspricht, bekommen sie eine neue,
eine andere Bedeutung und wiegen schwer. Recht hat er, warum mache ich mir das nur viel zu selten klar? Dann sagt er noch den schönen Satz: „Wenn ihr nicht wisst, wo ihr seid, seid ihr hier richtig.“
    Der Kurs selbst

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