Beim ersten Om wird alles anders
nicht das Erinnerungsvermögen. Wir tauschten Klatschgeschichten über andere Teilnehmer unseres Sommerausflugs aus und versicherten uns gegenseitig, dass wir uns zwar aus Starkult nichts machen, aber doch neugierig seien auf den Meister und die Meisterin aus New York.
Eine Viertelstunde vor Beginn wurde die Tür zum Yoga-Saal geöffnet, und schnell füllte sich der ganze Raum mit etwa 100 erwartungsvollen Yogis, darunter die üblichen 20 Prozent Männer. Eine erste Enttäuschung war es, als David den Saal betrat. Klein, grauhaarig, dünn und etwas verloren kam er mir vor, wie er dastand, barfuß natürlich, mit einem eng anliegenden langen und darunter mit erkennbar gleich zwei kurzen Höschen bekleidet, obenrum trug er T-Shirt, an den Armen Tätowierungen, diverse Ohrringe. Mit seiner knabenhaften Figur und dem nicht mehr so jungen Gesicht kam er mir vor wie eine blasse Mischung aus Iggy Pop und Michael Jackson, und
obwohl er sicher gesünder lebte, als es die beiden je taten bzw. noch tun, machte er seinem Nachnamen „Life“nicht gerade Ehre. Vielleicht bekam ihm ja das viele Reisen nicht. Oder aber die täglichen Kopfstandübungen haben doch Nebenwirkungen.
Die zweite Enttäuschung war Davids wenig raumbeherrschende Stimme, die nur über Mikrofon zu verstehen war. Da haben wir aber lokale Lehrer, die überzeugender rüberkommen, war mein frevelhafter Gedanke, den ich besser für mich behielt. Als erste Amtshandlung verfügte David, dass die wie üblich zu Beginn einer Stunde nach vorne ausgerichtete Raumordnung aufgehoben wird und sich alle Teilnehmer in einem Kreis um ihn herum versammeln. So etwas hasse ich, da es immer die Gefahr birgt, dass andere Menschen mit ihren nackten Füßen - oder schlimmer noch mit ihren mutmaßlich nicht frischen Socken - über MEINE Matte laufen oder sogar auf dieser stehen bleiben. Das war mir einmal in einer Anfängerstunde passiert. Seitdem bleibe ich bei solchen Aufforderungen immer so lange auf meiner Matte stehen, bis alle einen Platz gefunden haben, und gebe meine Position erst dann auf. Dieses Mal funktionierte es, niemand betrat unbefugt mein rosafarbenes Hoheitsgebiet.
Allerdings hielten viele eine respektvolle Distanz zu David, sodass es mehrerer Aufforderungen bedurfte, bis alle außer mir nahe bei ihm saßen. Mehr oder weniger erwartungsvoll lauschten wir dem, was da kommen sollte. Um es kurz zu machen: Es war ziemlich dünn. Er erzählte langatmig und monoton die Geschichte vom kleinen „Hummingbird“und dem bösen „God of Fire“. Irgendwie war der Kolibri, wie der Vogel auf Deutsch heißt, mutig und ließ sich nicht vom bedrohlichen Feuergott abschrecken, obwohl ihm alle anderen Vögel rieten, sich von ihm fernzuhalten. Und irgendwie war dahinter eine Botschaft versteckt,
die aber so gar nichts mit Yoga zu tun hatte und die nicht nur mir, soweit ich sie überhaupt verstand, eine Spur zu amerikanisch daherkam.
Deshalb herrschte eine gewisse Erleichterung, als David befand, dass es jetzt Zeit für die Yoga-Praxis sei, und deshalb die Runde aufhob und alle zurück auf ihre Yoga-Matten trotteten. Wieder gelang es mir, meine Matte vor unbefugtem Betreten zu bewahren.
Dann ertönte lautes Vogelgezwitscher vom Tonband, und zur Überraschung vieler ging es ohne Aufwärmen zur Sache. David gab schnell und eher unkoordiniert seine Befehle zu den Übungsabfolgen - mal auf Englisch, mal auf Indisch. Down Dog, Adho Mukha Svanasana, Up Dog, Urdhva Mukha Svanasana, Cobra, Bhujangasana. Dazu kamen auch Anweisungen zu Übungen, die nicht nur ich niemals zuvor gehört hatte und die er kaum erklärte, weshalb es nicht selten ein großes Durcheinander gab, wenn man sich eher ratlos an- und umschaute, in der Hoffnung, jemanden zu sehen, der wusste, welche Übung gemeint sein könnte.
Nicht wirklich einfacher wurde das Ganze dadurch, dass sich im Raum zahlreiche örtliche Yoga-Lehrer hin und her bewegten und uns Schülern Hilfestellung gaben, dass es nur so staubte. Zeitweilig fummelten mehrere Lehrer gleichzeitig an uns herum, immer bemüht, dem wachenden Auge von David als eifrige örtliche Repräsentanten der Jivamukti-Lehre zu gefallen. Auch mich erwischte es, als David eine Übung ankündigte, bei der man sitzend ein Bein so anhebt, dass man den Fuß wie ein zu liebkosendes Baby an die Wange legt, um das Bein dann am Ohr vorbei hinter den Kopf zu führen. Als ich gerade auf halber Strecke war, packten mich von hinten zwei Lehrer, und zusammen mit meinen eigenen zwei
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