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Beim ersten Om wird alles anders

Titel: Beim ersten Om wird alles anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Dresen
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ist eine ganz normale, also eher schwere Yoga-Stunde, die schnell vorübergeht. Alexandros weckt uns mit Glockengeläut aus der Endentspannung, und zum Ende liest er uns aus Erich Kästners Weihnachtsgeschichte vor. Was für ein stimmungsvoller Abschluss, kein bisschen kitschig und fast gar nicht sentimental.

    Ich fahre zurück in meine Wohnung. Auf dem Weg sehe ich nur noch wenige Passanten, zwei Touristen mit Reiseführern unter dem Arm besuchen völlig unbeeindruckt von der minütlich steigenden Weihnachtsstimmung eine Kirche, die schon für die Mitternachtsmesse geöffnet ist.
    Zu Hause angekommen greife ich mir ein paar vorbereitete Geschenke und fahre in die Wohnung meiner Exfrau und meiner Tochter. Außer mir sind um diese Zeit vermutlich nur noch andere Patchwork-Papis unterwegs zu den Resten ihrer Familie. Die Mutter meiner Exfrau ist ebenfalls da, ich werde für eine leichte Verspätung ein wenig ausgeschimpft. Danach beschäftige ich mich den ganzen Abend mit dem Aufbau meines Geschenks für meine fünfjährige Tochter Charlotte, einem Puppenhaus. Nachdem das geschafft ist, verlasse ich die Wohnung bald und hole meine Freundin von ihren Eltern im Umland ab. Ich komme dazu, wie die ganze Familie am Tisch sitzt und zur Gitarrenbegleitung Lieder, nicht nur Weihnachtslieder, singt. Was für eine schöne Stimmung, denke ich. Gelobt seien die Menschen, die einen unverkrampften Zugang zu Ritualen wie Weihnachten pflegen. Für die anderen gibt es immerhin Yoga.

    Meine Weihnachtstoleranz ist üblicherweise nach wenigen Tagen aufgezehrt, darum fliegen meine Freundin und ich zwei Tage später nach Ägypten. Hier erinnert nichts an die Feiertage, außer der rührend dilettantischen Weihnachtsdekoration, bestehend aus Strohschmuck, Neonkerzen und Neonchristbäumen, die über dem Swimmingpool leuchten. Es ist warm, wir blicken auf den Nil, und jeden Abend veranstalten wir eine private Yoga-Stunde im hoteleigenen Fitnessraum. Dazu schieben wir unter den anfangs sehr kritischen Augen des für den Fitnessraum verantwortlichen Ägypters - der in diesem Raum den ganzen Tag Sportveranstaltungen im Fernsehen schaut - und den neugierigen Blicken fitnessorientierter und yogakritischer anderer Hotelgäste ein paar Hometrainer und Laufbänder zur Seite, um Platz für unsere beiden rosa Matten zu schaffen. Ohne uns von den anderen Anwesenden beeinflussen zu lassen, beginnen wir unsere Übungen, als wären wir in einem Yoga-Studio, mit diversen Sonnengrüßen, selbstredend ohne vorheriges Om-Singen. Spätestens als wir uns den Kopf- und Handstandübungen nähern, schauen die anderen im Raum befindlichen Gäste weg und auch der Aufseher wieder auf seinen Fernsehschirm. Sie verstehen zwar nicht, was wir da tun, aber nun sieht es wohl hinreichend nach Sport aus, sodass man unsere Anwesenheit in dem ernsthaften sportlichen Beschäftigungen gewidmeten Raum duldet.
    Wir sind übrigens nicht die Einzigen, die auch im Urlaub nicht ohne Yoga auszukommen scheinen. Immer wieder sehe ich auf Zimmerterrassen und in der Gartenlandschaft des Hotels andere Gäste, die einzelne Übungen praktizieren.Wir werden immer mehr, und wir sind überall, das ist meine persönliche Weihnachtsbotschaft.

Bikram-Yoga: Willkommen - bei den Drill Instructors
    Ich muss Abbitte leisten. Dafür, dass ich mich hier und da in diesem Buch über meine Jivamukti-Yoga-Schule ein wenig lustig gemacht habe. Ich habe gespottet über den Hausaltar, über das Begrüßungsritual mit Om-Gesang und das Eingangsgebet, über die Musik während der Übungen und über die vielen Endentspannungen, die ich unter einer wer weiß wann zum letzten Mal gereinigten Decke durchlebt habe. Denn ich habe einmal etwas ganz anderes ausprobiert und meine gewohnten Abläufe sofort bitterlich vermisst:
    Auf Vorschlag meiner stets an Neuem interessierten Kollegin und guten Freundin Bettina, die mich auch zu den
Jivas gebracht hat, gehen wir zum Bikram-Yoga. Ich wusste davon vorher nichts, außer dass die Bikram-Jünger Yoga-Übungen in einem auf 40 Grad aufgeheizten Raum praktizieren. Dabei schwitzt man natürlich wie verrückt, es soll aber gesund sein, weil dabei die Muskeln und Sehnen locker werden.
    Der Empfang im Studio gefällt mir, eine blonde junge Frau mit Pferdeschwanz, Modell Sportstudentin, sitzt in kurzer Hose an einem Computer und tippt irgendwas ein. Ich stelle mich vor und sage: „Ich bin neu hier. Was muss ich wissen?“Die Antwort kommt sofort: „Ich bin Isabel, und wir können

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