Beim ersten Om wird alles anders
gescherzt hatte, auch der Pilot war, fühlte ich mich irgendwie getäuscht.
Diese Gedanken vergesse ich aber schnell, als Isabel ihren Platz auf einem erhöhten Podest über uns einnimmt. Zuerst teilt sie den offenbar zahlreich anwesenden Stammgästen mit, dass heute ungewöhnlich viele Neulinge anwesend seien, darunter vier Männer und drei Frauen. Sie nennt zu meiner Überraschung und meinem Erschrecken
alle beim Namen, auch Bettina und mich. Offenbar hat sie sich die Namen und Gesichter beim Empfang gemerkt, auch meines, obwohl ich da noch eine Brille trug, die ich nun abgesetzt hatte, und auch ganz andere Kleidung. Ich bin beeindruckt, aber auch besorgt. So etwas kenne ich nur von Grundschullehrern, Rekrutenausbildern oder Jura-Nachhilfelehrern. Mit diesen Berufsgruppen habe ich nicht nur schöne Stunden erlebt. Mir schwant deshalb nichts Gutes. Anstrengungen, sich Namen von Fremden zu merken, unternimmt üblicherweise nur, wer Wert auf kontinuierliche persönliche Ansprache legt. Bei den Jivas wird man allenfalls leise im Vorbeigehen ohne Namensnennung auf Haltungsfehler angesprochen, aber meist so, dass es niemand der Umstehenden hört. Das wird hier ziemlich sicher anders werden, so meine Befürchtung.
„Wir beginnen zum Aufwärmen mit der Pranayama-Atmung“, tönt es aus den Lautsprechern. Ups, was soll denn das sein? Atmen die hier nicht nur in heißer Luft, sondern ganz anders als andere Yogis, frage ich mich besorgt. Denn was daraufhin die Fortgeschrittenen mit stierem Blick in den Spiegel praktizieren, sieht sehr seltsam aus. Man verknotet die Hände ineinander und legt sie in Gebetshaltung unters Kinn. Dann werden die Unterarme V-förmig nach oben bewegt und am höchsten Punkt das auf den Händen liegende Kinn nach hinten gestreckt. Dann ertönt aus vielen fortgeschrittenen Kehlen ein lautes Röcheln, das sich anhört, als wären die meisten Menschen in diesem Raum gerade sehr unglücklich. Das Ganze wird mehrmals wiederholt, und ich bin sehr froh, dass mir dabei niemand zusieht, denn alle blicken gebannt in ihr Abbild im Spiegel. Alle bis auf Isabel, die auf mich schaut und mich sogleich ermahnt: „Arme höher, Rainer, Kinn zurück. Schau doch
in den Spiegel und korrigiere dich.“Dass man mir einmal vorwerfen würde, nicht oft genug in den Spiegel zu schauen, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Dann folgt ein Ablauf von nicht weniger als 25 weiteren genau festgelegten Übungen, die jeweils zweimal durchgeführt werden. Wir stehen aufrecht und beugen den Oberkörper zum halben Mond auf die Seite, wir setzen uns zur Freude unserer Oberschenkel in der Hockstellung zurück, als säßen wir auf einem Stuhl.Auf diese Weise wird das Becken geöffnet und (hoffentlich noch nicht so schnell) die Darmtätigkeit angeregt, beruhigend auch die Information, dass sich so Menstruationsbeschwerden mildern lassen.
Was sich ganz sicher nicht mildert, ist die Schweißabsonderung. Die setzt sehr rasch bei allen Übenden ein, um sich dann zu steigern und auf hohem Level zu bleiben. Auf allen Körpern bilden sich Schweißtropfen, es riecht auch nicht mehr ganz so frisch im Raum, erste Flecken unter den Achseln sind zu sehen, und schon bald rinnt der Schweiß direkt vom Körper weg auf das auf der Matte ausliegende Handtuch oder auch auf den Fußboden. Schnell kommt der Gedanke an eine Trinkpause auf, aber da ist Isabel unerbittlich: „Zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, kommt nur noch drei, drei, zwei, eins, so, jetzt kurz trinken.“Kaum hat man einen Schluck genommen, geht es weiter. Isabel, das finde ich erstaunlich, macht keine einzige Yoga-Übung vor, obwohl sie die sicher gut kann und obwohl sie ein schönes Podest hat, von dem aus jeder ihr dabei zusehen könnte. Nein, Bikram-Yoga wird offenbar nur erklärt, nicht vorgemacht.
Die regelmäßigen Bikram-Teilnehmer wissen auch so, wie die Übungen aussehen und welche nach genau festgelegtem Ablauf der anderen folgt. Wir Anfänger schauen uns das, so gut es geht, von ihnen oder ihren Spiegelbildern ab. Weiter geht es im Programm mit der Adler-Pose. Die soll angeblich eine stark erotisierende Wirkung haben. Ob das wirklich so ist, kann ich nicht direkt feststellen, denn um irgendeine ungewöhnliche Regung zu verspüren, bin ich viel zu sehr damit beschäftigt, die Beine, Hände und Arme wie befohlen ineinander zu verknoten. Aber auch so ist der Adler wohl eine Wunderübung. Angeblich, so lese ich später nach, öffnen sich dadurch nicht weniger als 14
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