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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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darüber.
    Â»Glauben Sie«, sage ich leise, »daß ich so was hören möchte? Wenn Sie in die Cafeteria gehen und einen Kaffee bestellen, wäre es Ihnen dann recht, wenn jemand Ihnen eine Cola gibt, weil das vielleicht einfacher ist?«
    Â»Sara.« Brians Stimme ist ein ferner Wind.
    Â»Glauben Sie, es ist einfach für mich, hier mit meiner Tochter zu sitzen und keine Ahnung zu haben, was los ist und wozu die ganzen Tests gut sind? Glauben Sie, es ist einfach für sie? Seit wann können wir immer das tun, was am einfachsten ist?«
    Â» Sara .« Erst als Brians Hand auf meine Schulter fällt, merke ich, wie stark ich zittere.
    Ich warte noch ab, bis die Frau auf ihren Clogs, die laut auf dem Fliesenboden klappern, davongestürmt ist. Sobald sie außer Sicht ist, sinke ich in mich zusammen.
    Â»Sara«, sagt Brian. »Was ist denn los mit dir?«
    Â»Was mit mir los ist? Ich weiß nicht, Brian, weil keiner kommt und uns sagt, was ihr fehlt –«
    Er schlingt die Arme um mich, Kate kauert zwischen uns. »Schsch«, sagt Brian. Er sagt, das alles gut wird, und zum ersten Mal in meinem Leben glaube ich ihm nicht.
    Plötzlich kommt Dr. Farquad herein, die wir seit Stunden nicht gesehen haben. »Wie ich höre, hat es da ein kleines Problem mit dem Blutgerinnungsstatus gegeben.« Sie nimmt einen Stuhl und setzt sich vor uns hin. »Kates großes Blutbild hat einige abnorme Werte ergeben. Die Anzahl ihrer weißen Blutkörperchen ist sehr niedrig – 1,3. Das Hämoglobin beträgt 7,5, der Hämatokrit 18,4, ihre Blutplättchen liegen bei 81 000 und ihre neutrophilen Granulozyten bei 0,6. Solche Werte deuten manchmal auf eine Autoimmunkrankheit hin. Aber bei Kate wurden außerdem zwölf Prozent Promyelozyten und fünf Prozent Blasten festgestellt, und das deutet auf ein leukämisches Syndrom hin.«
    Â»Leukämisch«, wiederhole ich. Das Wort ist zäh, schlüpfrig, wie Eiweiß.
    Dr. Farquad nickt. »Leukämie ist Blutkrebs.«
    Brian starrt sie nur an, die Augen unbewegt. »Was bedeutet das?«
    Â»Sie müssen sich vorstellen, das Knochenmark wäre ein Kindergarten für Blutkörperchen im Entwicklungsstadium. Ein gesunder Körper bildet Blutkörperchen, die im Knochenmark bleiben, bis sie reif genug sind, um loszuziehen und Krankheiten zu bekämpfen oder zu gerinnen oder Sauerstoff zu transportieren oder wozu sie auch immer da sind. Unreife Blutkörperchen dagegen kreisen nur herum und sind außerstande, ihre Arbeit zu erledigen. Es ist nicht immer gleich besorgniserregend, wenn man bei einem großen Blutbild Promyelozyten findet, aber bei dem von Kate konnten wir unter dem Mikroskop Anomalien feststellen.« Sie blickt uns abwechselnd an. »Ich muß eine Knochenmarkspunktion vornehmen, um ganz sicher zu sein, aber wie es aussieht, hat Kate akute promyelozytäre Leukämie.«
    Meine Zunge wird von dem Gewicht der Frage niedergedrückt, die Brian sich jetzt aus der Kehle ringt: »Wird sie … wird sie sterben?«
    Ich möchte Dr. Farquad schütteln. Ich möchte ihr sagen, daß ich Kate das Blut für den Gerinnungsstatus selbst aus dem Arm zapfe, wenn sie dafür zurücknimmt, was sie gesagt hat. »APL ist eine sehr seltene Untergruppe der myeloischen Leukämie. Sie wird pro Jahr bei nur zwölfhundert Menschen diagnostiziert. Die Überlebensrate bei APL-Patienten liegt bei zwanzig bis dreißig Prozent, wenn sofort mit der Behandlung begonnen wird.«
    Ich verdränge die Zahlen aus dem Kopf und klammere mich an den Rest des Satzes. »Es gibt eine Behandlung«, wiederhole ich.
    Â»Ja. Mit einer aggressiven Behandlung haben myeloische Leukämien eine Überlebensprognose von neun Monaten bis zu drei Jahren.«
    Letzte Woche stand ich mit Brian in der Tür von Kates Zimmer und habe gesehen, wie sie im Schlaf ihre Schmusedecke an sich drückte, einen Fetzen Stoff, den sie fast immer bei sich hat. Ich garantier dir , sagte ich zu Brian, davon trennt sie sich nie. Die muß ich ihr bestimmt noch in den Saum ihres Hochzeitskleides einnähen .
    Â»Um die Knochenmarkspunktion kommen wir nicht herum. Wir sedieren sie mit einem leichten Narkotikum. Und die Entnahme für den Gerinnungsstatus machen wir, während sie schläft.« Die Ärztin beugt sich mitfühlend vor. »Ich kann Ihnen sagen, daß Kinder jede Statistik schlagen.

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