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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gemacht hatten, daß die Sonne eifersüchtig wurde. Sie lud die Sterne auf ihre Seite der Welt ein, wo es immer hell war, verschwieg ihnen aber, daß sie tagsüber nicht zu sehen sein würden. Die dummen sprangen daher vom Himmel zur Erde, wo sie unter dem Gewicht ihrer eigenen Dummheit erstarrten.
    Der Mond tat sein Bestes. Er meißelte aus jedem dieser Blöcke aus Kummer einen Mann oder eine Frau. Die übrige Zeit paßte er auf, daß seine anderen Sterne nicht auch noch runterfielen. Und ansonsten hielt er sich an dem kümmerlichen Rest fest, der ihm geblieben war.
    BRIAN
    Kurz vor sieben Uhr am Sonntagmorgen kommt ein Oktopus in die Wache. Na ja, genaugenommen ist es eine Frau, die als Oktopus verkleidet ist, aber bei so einem Anblick spielen derartige Spitzfindigkeiten keine Rolle. Sie hat ein verweintes Gesicht, und auf einem ihrer vielen Arme hat sie einen Pekinesen. »Sie müssen mir helfen«, sagt sie, und da erinnere ich mich: Das ist Ms. Zenga, deren Haus bei einem Küchenbrand vor einigen Tagen völlig ausbrannte.
    Sie zupft an ihren Tentakeln. »Das hier ist das einzige Kleidungsstück, das mir geblieben ist. Ein Halloween-Kostüm. Es hat in einer Kiste in der Garage vor sich hingegammelt, zusammen mit meiner Peter-Paul-and-Mary-Sammlung.«
    Ich bugsiere sie sacht auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. »Mrs. Zenga, ich weiß, Ihr Haus ist unbewohnbar –«
    Â»Unbewohnbar? Es ist eine Ruine!«
    Â»Ich kann Ihnen eine Stelle nennen, die Notunterkünfte vermittelt. Wenn Sie wollen, rufe ich bei Ihrer Versicherung an, damit sie Ihren Schadensfall schneller abwickeln.«
    Als sie einen Arm hebt, um sich über die Augen zu wischen, gehen gleichzeitig acht andere in die Höhe, von unsichtbaren Fäden gezogen. »Ich habe keine Feuerversicherung. Ich halte nichts davon, im Leben ständig mit dem Schlimmsten zu rechnen.«
    Ich starre sie einen Moment lang an und versuche, mich daran zu erinnern, wie es ist, wenn einem schon die Möglichkeit einer Katastrophe abwegig erscheint.
    Als ich ins Krankenhaus komme, liegt Kate auf dem Rücken und hält einen Teddybären im Arm, den sie mit sieben bekommen hat. Sie hängt an einem von diesen Morphiumtropfen, die die Patienten selbst regulieren können, und ihr Daumen drückt ab und zu auf den Knopf, obwohl sie tief schläft.
    Einer von den Stühlen läßt sich zu einer Pritsche mit einer hauchdünnen Matratze ausklappen, und darauf liegt Sara zusammengerollt. »Hi«, sagt sie und streicht sich das Haar aus den Augen. »Wo ist Anna?«
    Â»Sie schläft, wie es nur Kinder können. Wie war Kates Nacht?«
    Â»Nicht schlecht. Zwischen zwei und vier hatte sie etwas Schmerzen.«
    Ich setze mich auf die Kante der Pritsche. »Anna hat sich sehr gefreut, daß du gestern abend angerufen hast.«
    Als ich Sara in die Augen blicke, sehe ich Jesse – sie haben die gleiche Farbe, den gleichen Ausdruck. Ich frage mich, ob Sara an Kate denkt, wenn sie mich anschaut. Und ich frage mich, ob es für sie schmerzhaft ist.
    Ich kann mir kaum noch vorstellen, daß ich mal mit dieser Frau die ganze Route 66 abgefahren bin, ohne daß uns der Gesprächsstoff ausging. Heute beschränken sich unsere Unterhaltungen auf die wichtigsten Fakten.
    Â»Erinnerst du dich noch an die Wahrsagerin?« frage ich. Als sie mich verständnislos ansieht, rede ich weiter. »In Nevada, wir waren mitten in der Pampa, und der Sprit ging uns aus … und du wolltest nicht allein im Auto bleiben, während ich eine Tankstelle suchte?«
    In zehn Tagen, wenn du immer noch in der Gegend her umirrst, wird man mich hier finden, und dann haben mir die Geier schon die Därme rausgerupft , hatte Sara gesagt und war mitgekommen. Wir marschierten vier Meilen zurück zu der Hütte, an der wir vorbeigefahren waren und vor der wir eine Zapfsäule gesehen hatten. Die »Tankstelle« wurde von einem alten Mann mit seiner Schwester betrieben, die sich als Hellseherin anpries. Komm, das machen wir , bettelte Sara, aber eine Sitzung kostete fünf Dollar, und ich hatte nur noch zehn. Dann tanken wir nur für die Hälfte und fragen die Hellseherin, wann uns das nächste Mal der Sprit ausgeht , sagte Sara, und wie immer setzte sie sich durch.
    Madame Agnes war blind, mit Kataraktaugen, die aussahen wie ein leerer blauer Himmel, Augen, die Kindern angst machen können. Sie

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