Beim Leben meiner Schwester
jetzt nicht mache, bin ich nicht imstande dazu, wenn es so weit ist.«
Ich schüttele den Kopf. »Es ist noch nicht so weit.«
Ich rufe meine Schwester um halb vier am Morgen an. »Ich hab dich geweckt«, sage ich, als Zanne sich meldet und mir im selben Augenblick klar wird, daà es für sie, für jeden normalen Menschen, nachtschlafende Zeit ist.
»Gehtâs um Kate?«
Ich nicke, obwohl sie das nicht hören kann. »Zanne?«
»Ja?«
Ich schlieÃe die Augen, spüre die Tränen hervorquellen.
»Sara, was ist denn? Soll ich kommen?«
Der Druck in meiner Kehle ist so stark, daà ich kaum sprechen kann. Als ich klein war, wollte ich, daà nachts die Tür zu meinem Zimmer auf und das Licht im Flur an blieb. Zanne, die ihr Zimmer neben meinem hatte, störte das Licht. Dann mach doch deine Tür zu , sagte ich zu ihr, du kannst es dunkel machen, aber ich kann es nicht hell machen .
»Ja«, sage ich und schluchze jetzt haltlos. »Bitte.«
Wider Erwarten übersteht Kate zehn Tage mit Hilfe intensiver Transfusionen und der Arsentherapie. Am elften Tag fällt sie ins Koma. Ich beschlieÃe, an ihrem Bett zu wachen, bis sie das BewuÃtsein wiedererlangt. Und nach genau fünfundvierzig Minuten erhalte ich einen Anruf vom Direktor von Jesses Schule.
Offenbar wird das Natriummetall im Chemielabor der High School in kleinen Ãldosen gelagert, weil es sich an der Luft entzündet. Offenbar reagiert es auch mit Wasser und erzeugt Wasserstoff und Hitze. Offenbar war mein NeuntkläÃler von Sohn so schlau, das zu wissen, weshalb er eine Probe geklaut, sie im Klo runtergespült und so den Abwassertank der Schule zur Explosion gebracht hat.
Der Direktor ist ein Mann, der den Anstand hat, sich nach Kate zu erkundigen, bevor er mir prophezeit, daà mein Ãltester auf dem besten Weg ins Gefängnis ist. Nachdem Jesse einen dreitägigen Schulverweis kassiert hat, fahre ich mit ihm zurück ins Krankenhaus. »Du hast natürlich Hausarrest.«
»Mir doch egal.«
»Bis du vierzig bist.«
Jesse lümmelt sich auf dem Beifahrersitz, die Augenbrauen zu einem dunklen Strich zusammengezogen. Ich frage mich, wann genau ich bei ihm aufgegeben habe. Ich frage mich, wieso, wo doch Jesses Werdegang längst nicht so enttäuschend ist wie der seiner Schwester.
»Der Direktor ist ein Arschloch.«
»WeiÃt du was, Jesse? Die Welt ist voll davon. Dauernd stellt sich dir irgendwer in den Weg. Irgend was .«
Er funkelt mich zornig an. »Wir könnten über ein beschissenes Baseballspiel reden, und du würdest es trotzdem irgendwie schaffen, das Thema auf Kate zu bringen.«
Wir biegen auf den Krankenhausparkplatz, aber ich mache keine Anstalten, den Motor auszumachen. Regen prasselt auf die Windschutzscheibe. »Darin sind wir alle ziemlich talentiert. Oder hast du den Abwassertank aus einem anderen Grund in die Luft gejagt?«
»Du weiÃt nicht, wie das ist, wenn man der Junge ist, dessen Schwester an Krebs stirbt.«
»Ich kann mir das ganz gut vorstellen. SchlieÃlich bin ich die Mutter des Mädchens, das an Krebs stirbt. Du hast völlig recht, das ist zum Kotzen. Und manchmal hätte ich auch nicht übel Lust, irgendwas in die Luft zu jagen, nur um das Gefühl loszuwerden, daà ich selbst jeden Augenblick explodiere.« Ich senke den Blick, und dabei entdecke ich in seiner Armbeuge einen BluterguÃ. Auf der anderen Seite hat er genauso einen. Ich denke sofort an Heroin, nicht an Leukämie, wie ich es bei seinen Schwestern täte.
»Was hast du da?«
Er verschränkt die Arme. »Nichts.«
»Was ist das?«
»Geht dich nichts an.«
»Und ob mich das was angeht.« Ich biege seinen Unterarm nach unten.
»Stammt das von einer Nadel?«
Er hebt den Kopf, mit lodernden Augen. »Ja, genau, Ma, ich kriege alle drei Tage eine Spritze. Aber keine von der Sorte, an die du denkst, ich laà mir nämlich hier im zweiten Stock Blut abnehmen.« Er starrt mich an. »Hast du dich nie gefragt, wer Kate sonst noch mit Thrombozyten versorgt?«
Er steigt aus dem Wagen, bevor ich ihn zurückhalten kann, und ich starre durch die nasse Windschutzscheibe. Nichts ist mehr klar.
Nach zwei Wochen bei Kate im Krankenhaus, überreden die Krankenschwestern mich, für einen Tag nach Hause zu fahren. Ich dusche wieder in meinem eigenen Badezimmer statt in dem des
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