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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sieht zu seinem Infusionsständer hinüber, an dem der verräterische schwarze Beutel hängt, der das Cytoxan verhüllt. »Chemo?«
    Â»Ja. Heute jedenfalls«, sagt Taylor. Er hat diesen schlaksigen Welpencharme eines Sechzehnjährigen, mit knochigen Knien und dicken Fingern und Wangenknochen, in die er erst noch hineinwachsen muß. Als er die Arme verschränkt, treten die Muskeln hervor. Ich merke, daß er das absichtlich macht, und senke den Kopf, um ein Schmunzeln zu verbergen. »Und was machst du so, wenn du nicht hier im Krankenhaus bist?«
    Sie überlegt, und dann strahlt sie ihn an. »Abwarten, bis ich wieder wegen irgendwas herkommen muß.«
    Taylor lacht laut auf. »Vielleicht können wir ja mal zusammen abwarten«, sagt er und reicht ihr eine leere Verbandgazepackung. »Kann ich deine Telefonnummer haben?«
    Während Kate sie aufschreibt, fängt Taylors Infusion an zu piepen. Die Krankenschwester kommt und löst den Schlauch. »Raus mit dir, Taylor«, sagt sie. »Wirst du abgeholt?«
    Â»Ja, die warten unten. Alles klar.« Er steigt langsam aus dem gepolsterten Sessel, fast schwach, das erste Anzeichen dafür, daß die Situation nicht alltäglich ist. Er steckt sich den Zettel mit unserer Telefonnummer in die Tasche. »Okay, ich ruf dich an, Kate.«
    Als er weg ist, stößt Kate einen dramatischen Seufzer aus. Sie reckt den Hals, um ihrer neuen Bekanntschaft hinterherzuschauen. »Hilfe«, keucht sie. »Ist der süß.«
    Die Krankenschwester, die Kates Tropf überprüft, grinst. »Das kannst du laut sagen, Liebes. Wenn ich nur dreißig Jahre jünger wäre.«
    Kate sieht mich an, rosig angehaucht. »Meinst du, er ruft an?«
    Â»Vielleicht«, sage ich.
    Â»Was meinst du, ob wir mal ins Kino gehen oder so?«
    Ich denke an Brian, der immer gesagt hat, daß Kate einen Freund haben kann … wenn sie vierzig ist. »Immer schön eins nach dem anderen«, schlage ich vor. Aber am liebsten würde ich laut singen.
    Das Arsen, das Kate letztlich in Remission brachte, wirkte seinen Zauber, indem es sie niederstreckte. Taylor Ambrose, eine völlig andere Droge, entfaltet seinen Zauber, indem er sie aufbaut. Es wird zur Gewohnheit: Wenn das Telefon abends um sieben klingelt, springt Kate vom Eßtisch auf und versteckt sich mit dem schnurlosen Gerät in irgendeiner stillen Ecke. Wir übrigen räumen den Tisch ab und machen es uns im Wohnzimmer gemütlich, während wir die ganze Zeit über Kichern und Flüstern hören, und dann taucht Kate aus ihrem Kokon wieder auf, mit rotem, strahlendem Gesicht, und die erste Verliebtheit vibriert wie Kolibriflügel in ihrer Kehle. Jedes Mal, wenn das passiert, kann ich einfach nicht aufhören, sie anzustarren. Nicht weil Kate so schön ist, obwohl sie das ist, sondern weil ich mir nie die Vorstellung erlaubt habe, daß ich sie als junges Mädchen erleben werde.
    Eines Abends folge ich ihr nach einem ihrer Marathontelefonate ins Badezimmer. Kate mustert sich im Spiegel, spitzt die Lippen und zieht die Augenbrauen zu einer auffordernden Miene hoch. Ihre Hand greift in das kurze Haar – nach der Chemo ist es nicht wieder wellig nachgewachsen, sondern in dichten glatten Büscheln, die sie sich meistens mit Gel stylt. Sie hält die geöffnete Hand vor sich, als rechnete sie immer noch damit, Haare zu verlieren.
    Â»Was meinst du, was er sieht, wenn er mich anschaut?« fragt Kate.
    Ich stelle mich neben sie. Sie ist nicht das Kind, das mich widerspiegelt – das wäre Jesse –, und doch, wenn wir so Seite an Seite stehen, sind durchaus Ähnlichkeiten zu erkennen. Es ist nicht die Form des Mundes, sondern der Zug drum herum, die klare Entschlossenheit, die unsere Augen mit Glanz überzieht.
    Â»Ich denke, er sieht ein Mädchen, das weiß, was er durchmacht«, sage ich ehrlich.
    Â»Ich hab im Internet etwas über AML gelesen«, sagt sie. »Seine Leukämie hat ziemlich gute Heilungschancen.« Sie sieht mich an. »Wenn einem das Leben eines anderen wichtiger ist als das eigene … ist das Liebe?«
    Auf einmal habe ich Mühe, eine Antwort durch meine enge Kehle zu pressen. »Das ist Liebe.«
    Kate dreht den Wasserhahn auf und wäscht sich das Gesicht mit Seifenschaum. Ich reiche ihr ein Handtuch, und als sie aus der Frotteewolke auftaucht, sagt sie: »Irgendwas Schlimmes wird

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