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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Person, die mich am nächsten Morgen im Gericht begrüßt, ist gar keine Person, sondern Judge der Hund. Er kommt mit angelegten Ohren um die Ecke geschlichen und ist offensichtlich auf der Flucht vor der aufgeregten Stimme seines Besitzers. »Hallo«, sage ich beruhigend, aber Judge reagiert nicht. Er packt den unteren Rand meiner Kostümjacke – die Reinigung wird mir Campbell bezahlen, das schwöre ich – und zieht mich in Richtung des Lärms.
    Noch bevor ich um die Ecke komme, höre ich Campbell sagen: »Ich habe Zeit und Energie vergeudet, und weißt du was, das ist noch nicht mal das Schlimmste. Ich habe mich tatsächlich in meiner Einschätzung einer Mandantin getäuscht.«
    Â»Tja, Pech, aber Sie sind nicht der einzige, der sich getäuscht hat«, kontert Anna. »Ich hab Sie engagiert, weil ich dachte, Sie hätten Rückgrat.« Sie stürmt an mir vorbei. »Arschloch«, schimpft sie leise vor sich hin.
    In diesem Moment muß ich daran denken, wie ich mich gefühlt habe, als ich allein auf dem Boot aufgewacht bin: Enttäuscht. Verunsichert. Wütend auf mich selbst, daß ich mich in diese Lage gebracht hatte.
    Warum zum Teufel war ich nicht wütend auf Campbell?
    Judge springt an Campbell hoch und drückt ihm die Vorderpfoten gegen die Brust. »Runter!« befiehlt Campbell, und dann dreht er sich um und sieht mich. »Das alles war nicht für deine Ohren bestimmt.«
    Â»Das kann ich mir denken.«
    Er sinkt schwer auf einen Stuhl am Konferenztisch und fährt sich mit den Händen übers Gesicht. »Sie weigert sich, in den Zeugenstand zu gehen.«
    Â»Meine Güte, Campbell! Sie kann ihrer Mutter ja nicht mal zu Hause im Wohnzimmer gegenübertreten, wie soll sie sich da von ihr ins Kreuzverhör nehmen lassen? Was hast du erwartet?« Er blickt mich durchdringend an. »Was wirst du DeSalvo sagen?«
    Â»Fragst du wegen Anna, oder weil du befürchtest, das Verfahren zu verlieren?«
    Â»Danke, aber mein Gewissen hab ich in der Fastenzeit aufgegeben.«
    Â»Du solltest dich mal fragen, wieso dir eine Dreizehnjährige so unter die Haut geht.«
    Er verzieht das Gesicht. »Halt dich doch einfach da raus, Julia, und mach mir meinen Fall kaputt, so wie du es die ganze Zeit vorhattest.«
    Â»Das ist nicht dein Fall, das ist Annas Fall. Obwohl ich mir gut vorstellen kann, wieso du das anders siehst.«
    Â»Was soll das denn nun wieder heißen?«
    Â»Ihr seid Feiglinge, alle beide. Ihr habt nichts Wichtigeres zu tun, als vor euch selbst wegzulaufen«, sage ich. »Ich weiß, vor welchen Konsequenzen Anna Angst hat. Und was ist mit dir?«
    Â»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
    Â»Ach nein? Wo bleibt deine Schlagfertigkeit? Oder fällt dir kein witziger Spruch ein, weil ich ins Schwarze getroffen habe? Du weichst jedes Mal aus, wenn dir jemand nahe kommt. Es ist alles in bester Ordnung, solange Anna nur eine Mandantin ist, aber sobald sie irgendwie wichtig für dich wird, hast du ein Problem. Und was mich angeht, tja, schnell mal ins Bett mit mir, das ist drin, aber dich wirklich emotional zu binden kommt nicht in Frage. Die einzige echte Beziehung, die du hast, ist die zu deinem Hund, und selbst daraus machst du ein Staatsgeheimnis.«
    Â»Es reicht jetzt, Julia –«
    Â»Nein, weißt du was, ich bin wahrscheinlich die einzige, die dir mit Fug und Recht sagen kann, was für ein Vollidiot du bist. Aber das ist dir ja nur lieb, oder? Wenn dich nämlich alle für einen Vollidioten halten, macht sich keiner die Mühe, dir irgendwie nahe zu kommen.« Ich starre ihn noch einen Wimpernschlag länger an. »Ich wette, du bist enttäuscht, daß dich jemand durchschaut hat, Campbell, hab ich recht?«
    Er steht mit versteinertem Gesicht auf. »Ich muß wieder in den Gerichtssaal.«
    Â»Nur zu«, sage ich. »Aber paß gut auf, daß du deine Auffassung von Gerechtigkeit schön säuberlich getrennt hältst von der Mandantin, die auf Gerechtigkeit hofft. Sonst könntest du, Gott bewahre, tatsächlich noch feststellen, daß du ein funktionsfähiges Herz besitzt.«
    Ich wende mich ab und gehe, ehe ich mich noch mehr zum Narren machen kann, und dann höre ich Campbells Stimme hinter mir her rufen. »Julia. Das ist nicht wahr.«
    Ich schließe die Augen und drehe mich wider besseres Wissen um.
    Er zögert. »Der Hund.

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