Beim Leben meiner Schwester
Ich â«
Aber was auch immer er gestehen will, er wird unterbrochen, weil Vern an der Tür auftaucht. »Richter DeSalvo ist auf dem Kriegspfad«, warnt er. »Sie sind zu spät dran, und in der Cafeteria war die Kaffeesahne alle.«
Ich suche Campbells Blick. Ich warte darauf, daà er seinen angefangenen Satz beendet. »Du bist meine nächste Zeugin«, sagt er ruhig, und der Augenblick ist vorbei, noch ehe ich mich richtig erinnern kann, daà es ihn überhaupt gegeben hat.
CAMPBELL
Es wird immer schwieriger, mies zu sein.
Als ich den Gerichtssaal betrete, zittern mir die Hände. Zum Teil liegt das natürlich an der immer gleichen Geschichte, zum Teil aber auch daran, daà meine Mandantin neben mir ungefähr so zugänglich ist wie ein Felsklotz und daà die Frau, nach der ich verrückt bin, meine nächste Zeugin ist. Ich werfe Julia einen kurzen Blick zu, als der Richter hereinkommt. Sie sieht geflissentlich weg.
Mein Stift rollt vom Tisch. »Anna, hebst du mir den bitte auf?«
»Ich weià nicht. Dann würde ich doch Zeit und Energie vergeuden, oder?« sagt sie, und der dämliche Stift bleibt auf dem Boden liegen.
»Sind Sie bereit, Ihren nächsten Zeugen aufzurufen, Mr. Alexander?« fragt Richter DeSalvo, aber noch ehe ich Julias Namen aussprechen kann, meldet sich Sara Fitzgerald zu Wort.
Ich mache mich auf eine weitere Komplikation gefaÃt, und tatsächlich, die Gegenseite enttäuscht mich nicht. »Die Psychiaterin, die ich als Zeugin aufrufen möchte, hat heute nachmittag einen dringenden Termin im Krankenhaus. Wäre es möglich, ihre Vernehmung vorzuziehen?«
»Mr. Alexander?«
Ich zucke die Achseln. Für mich ist es ja doch nur eine Aufschiebung der Hinrichtung. Also setze ich mich neben Anna und sehe zu, wie eine kleine, dunkelhaarige Frau mit einem Haarknoten, der für ihr Gesicht zehnmal zu fest geschlungen ist, in den Zeugenstand geht. »Bitte nennen Sie für das Protokoll Ihren Namen und Ihre Anschrift«, beginnt Sara Fitzgerald.
»Dr. Beata Neaux«, sagt die Psychiaterin. »1250 Orrick Way, Woonsocket.«
Dr. No . Ich sehe mich im Saal um, aber anscheinend bin ich hier der einzige James-Bond-Fan. Ich nehme einen Block und schreibe einen Kommentar für Anna: Wenn sie mit Dr. Chance verheiratet wäre, hieÃe sie Dr. Neaux-Chance .
Ein Lächeln zuckt um Annas Mundwinkel. Sie hebt den runtergefallenen Stift auf und schreibt: Und wenn sie sich scheiden lieÃe und Sie heiraten würde, dann wäre sie Dr. Neaux-Chance-Alexander .
Wir müssen beide lachen, und Richter DeSalvo räuspert sich und sieht uns an. »Verzeihung, Euer Ehren«, sage ich.
Anna schiebt mir einen weiteren Zettel rüber: Ich bin noch immer sauer auf Sie .
Sara geht zu ihrer Zeugin. »Dr. Neaux, welches Fachgebiet haben Sie?«
»Ich bin Kinderpsychiaterin.«
»Wie haben Sie meine Kinder kennengelernt?«
Dr. Neaux sieht zu Anna hinüber. »Vor ungefähr sieben Jahren sind Sie mit Ihrem Sohn Jesse wegen einiger Verhaltensauffälligkeiten zu uns gekommen. Seitdem habe ich mit allen drei Kindern in mehrfachen Sitzungen über verschiedene, aktuelle Fragen gesprochen.«
»Dr. Neaux, ich habe Sie letzte Woche angerufen und Sie gebeten, sich als Sachverständige mit der Frage zu beschäftigen, welchen psychischen Schaden Anna davontragen könnte, wenn ihre Schwester stirbt.«
»Ja. Ich habe daraufhin ein wenig geforscht. Es gab in Maryland bereits einen ähnlichen Fall. Ein Mädchen sollte als Spenderin für ihre Zwillingsschwester fungieren. Der Psychiater, der die Zwillinge untersuchte, stellte fest, daà sie sich ungemein stark miteinander identifizierten, und er kam zu dem SchluÃ, daà es auch für die Spenderin von groÃem Vorteil wäre, wenn der Eingriff die erhofften positiven Ergebnisse erbringen würde.« Sie sieht Anna an. »Meiner Meinung nach haben wir es hier mit sehr ähnlichen Umständen zu tun. Anna und Kate stehen sich sehr nahe und das nicht nur genetisch. Sie leben zusammen. Sie verbringen ihre Freizeit miteinander. Sie haben buchstäblich ihr ganzes Leben miteinander verbracht. Wenn Anna eine Niere spendet, die ihrer Schwester das Leben rettet, dann ist das ein wunderbares Geschenk â nicht nur für Kate. Weil Anna dann weiterhin zu der intakten Familie gehören wird, durch die sie
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