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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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recht, Dr. Neaux, Eltern müssen Eltern sein«, sage ich. »Aber manchmal reicht das einfach nicht.«
    JULIA
    Richter DeSalvo ordnet eine zehnminütige Pause an. Auf der Toilette stelle ich meinen Webrucksack aus Guatemala ab und fange an, mir die Hände zu waschen, als die Tür einer der Kabinen aufgeht. Anna kommt heraus und zögert nur einen kurzen Moment. Dann dreht sie den Wasserhahn am Waschbecken neben meinem auf.
    Â»Hallo«, sage ich.
    Anna will sich die Hände an dem Warmluftgerät trocknen, aber es springt nicht an. Sie wedelt mit den Fingern unter dem Gerät herum, schlägt schließlich gegen das Gehäuse.
    Als ich mich vorbeuge und eine Hand darunter schwenke, geht das Gebläse an. Wir teilen uns diesen warmen Luftzug, Vagabunden um ein Tonnenfeuer. »Campbell sagt, du willst nicht aussagen.«
    Â»Eigentlich will ich nicht darüber reden«, sagt Anna.
    Â»Weißt du, manchmal muß man das tun, was man am wenigsten will, um das zu bekommen, was man am meisten will.«
    Sie lehnt sich gegen die Tür und verschränkt die Arme. »Hat irgend jemand Sie zu Konfuzius gemacht?« Anna wendet sich ab, dann bückt sie sich und hebt meinen Rucksack auf. »Der gefällt mir. So schön bunt.«
    Ich nehme ihn und hänge ihn mir über die Schulter. »Als ich in Südamerika war, hab ich den alten Frauen beim Weben zugeschaut. Für so ein Muster braucht man zwanzig Spulen.«
    Â»Genau wie bei der Wahrheit«, sagt Anna, oder ich bilde mir nur ein, daß sie es gesagt hat, denn sie ist schon zur Tür hinaus.
    Ich beobachte Campbells Hände. Sie bewegen sich viel, wenn er spricht. Er scheint fast alles, was er sagt, mit ihnen zu unterstreichen. Aber sie zittern auch ein bißchen, und das schreibe ich dem Umstand zu, daß er nicht weiß, was ich sagen werde.
    Â»Wie lauten Ihre Empfehlungen als Verfahrenspflegerin in diesem Fall?« fragt er.
    Ich hole tief Luft und schaue zu Anna hinüber. »Wir haben es hier mit einer jungen Frau zu tun, die zeit ihres Lebens eine enorme Verantwortung für das Wohl ihrer Schwester empfindet. Sie weiß sogar, daß sie auf die Welt gebracht wurde, um diese Verantwortung zu tragen.« Ich sehe Sara an, die an ihrem Tisch sitzt. »Ich denke, daß diese Eltern bei Annas Zeugung die allerbesten Absichten hatten. Sie wollten ihre ältere Tochter retten. Sie haben sich aber auch auf Anna gefreut – und das nicht bloß wegen ihrer genetischen Möglichkeiten, sondern auch weil sie sie lieben und glücklich heranwachsen sehen wollten.«
    Dann richte ich den Blick auf Campbell. »Ich verstehe außerdem sehr gut, daß es für diese Eltern von entscheidender Bedeutung war, alles Menschenmögliche zu tun, um Kate zu retten. Wenn man jemanden liebt, würde man alles tun, um ihn bei sich zu behalten.«
    In der Nacht, die Campbell und ich zusammen verbrachten, wurde ich einmal in seinen Armen wach, während er noch schlief. Ich betrachtete die Geographie seines Gesichts: von der Klippe seiner Wangenknochen über den Strudel der Ohren hin zu den Lachfältchen, die sich wie winzige Schluchten in seine Mundwinkel eingegraben hatten. Dann schloß ich die Augen, und zum ersten Mal in meinem Leben fiel ich in einen wunderschönen Traum zurück, den ich vorher gehabt hatte, und landete haargenau an der Stelle, an der ich ihn verlassen hatte.
    Â»Aber leider«, sage ich vor dem Richter, »gibt es auch einen Punkt, an dem man zurücktreten und sagen muß, daß der Zeitpunkt gekommen ist loszulassen.«
    Nachdem Campbell mit mir Schluß gemacht hatte, verließ ich einen Monat lang nur das Bett, wenn ich gezwungen wurde, in die Kirche zu gehen oder mich abends zum Essen an den Tisch zu setzen. Ich wusch mir nicht mehr die Haare. Unter den Augen hatte ich dunkle Ringe. Izzy und ich sahen uns auf den ersten Blick überhaupt nicht mehr ähnlich.
    An dem Tag, als ich endlich den Mut aufbrachte, aus freien Stücken das Bett zu verlassen, ging ich zur Wheeler School und trieb mich in der Nähe des Bootshauses herum, bis einer von den Jungs aus dem Segelteam kam, der mit einem Skiff der Schule rausgesegelt war. Er hatte blondes Haar, nicht schwarzes wie Campbell. Er war untersetzt, nicht groß und schlank. Ich sprach ihn an und fragte, ob er mich im Auto mitnehmen könnte.
    Eine Stunde später hatte ich auf dem Rücksitz seines Honda mit ihm

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