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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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kennenzulernen?«
    Â»Natürlich hab ich das«, lüge ich, während Judge zu meinen Füßen anfängt zu winseln.
    Julia schaut zu ihm hinunter. »Stimmt was nicht mit deinem Hund?«
    Â»Dem geht’s gut. Hör mal. Es ist meine Aufgabe, Annas Rechte zu schützen und den Fall zu gewinnen, und genau das werde ich auch tun.«
    Â»Klar, das wirst du. Nicht unbedingt zu Annas Bestem … sondern zu deinem . Ist schon absurd, daß ein Kind, das endlich nicht mehr zum Vorteil eines anderen Menschen ausgenutzt werden will, sich ausgerechnet deinen Namen aus den Gelben Seiten sucht!«
    Â»Du weißt überhaupt nichts über mich«, sage ich und merke, wie sich meine Kiefermuskulatur anspannt.
    Â»Und wessen Schuld ist das wohl?«
    Soviel zu unserem Vorsatz, nicht über die Vergangenheit zu reden. Ein Schaudern durchläuft mich, und ich packe Judge am Halsband. »Entschuldige mich«, sage ich und gehe aus dem Büro, verlasse Julia zum zweiten Mal in meinem Leben.
    Im Grunde war »The Wheeler School« eine Fabrik, die Debütantinnen und zukünftige Investmentbanker am Fließband produzierte. Wir sahen alle gleich aus und rede ten alle gleich. La Jeunesse dorée auf amerikanisch .
    Es gab natürlich auch Schüler, die nicht in diese Schablo ne paßten. Wie die Kids, die ein Stipendium kriegten, die ihre Kragen hochgeklappt trugen und Rudern lernten, ohne zu merken, daß sie nicht zu uns gehörten und wir das ganz genau wußten. Es gab die Stars wie Tommy Boudreaux, der ein Jahr vor dem Abschluß von den Detroit Redwings abgeworben wurde. Oder die Durchgeknallten, die sich die Handgelenke aufschlitzten oder ihr Hochprozentiges mit Valium mischten und das Schulgelände genauso still und leise verließen, wie sie sich einst darauf bewegt hatten .
    In dem Jahr, als Julia Romano auf die Wheeler kam, war ich in der letzten Klasse. Sie trug Armeestiefel und ein T -Shirt mit Cheap-Trick-Aufdruck unter ihrem Schulbla zer. Sie konnte mühelos ganze Sonette auswendig lernen. In den Freistunden, wenn wir anderen hinter dem Rücken des Direktors Kippen schnorrten, stieg sie die Treppe bis oben unters Dach der Sporthalle hinauf, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Heizungsrohre und las Henry Miller und Nietzsche. Im Gegensatz zu den anderen Mädchen an der Schule, die ihre glatten Kaskaden aus gelbblonden Haaren mit bunten Haarbändern zusammenhielten, hatte sie einen wilden Wirbelsturm aus schwarzen Locken, war aber nie mals geschminkt – nur diese klaren Gesichtszüge, wem’s nicht gefällt, selbst schuld. Sie trug einen unglaublich dün nen Ring, ein silberner Faden, durch die linke Augenbraue. Sie roch wie frischer Hefeteig .
    Es wurde so einiges über sie gemunkelt: sie sei aus einem Erziehungsheim für Mädchen rausgeflogen; sie sei so ein Wunderkind mit einem bombastischen IQ ; sie sei zwei Jah re jünger als alle anderen in unserer Stufe; sie habe ein Tat too. Keiner wußte so genau, was er von ihr halten sollte. Sie nannten sie Freak, weil sie keine von uns war .
    Eines Tages kam Julia Romano mit kurzen pink gefärb ten Haaren in die Schule. Wir gingen alle davon aus, daß sie suspendiert werden würde, aber wie sich herausstellte, ent hielt die umfangreiche Kleiderordnung für die Wheeler School keine Frisurenrvorschriften. Ich kam ins Grübeln, warum es an der ganzen Schule nicht einen einzigen Typen mit Dreadlocks gab, und mir wurde klar, daß es nicht dar an lag, daß wir nicht auffallen durften – wir wollten es auch gar nicht .
    An dem Tag kam sie beim Mittagessen an dem Tisch vor bei, wo ich mit ein paar Kumpels vom Segelteam und ihren Freundinnen saß .
    Â»He«, sagte ein Mädchen, »hat das weh getan?«
    Julia blieb stehen. »Hat was weh getan?«
    Â»Na, als du in die Zuckerwatteschüssel gefallen bist.«
    Sie zuckte nicht mal mit der Wimper. »Sorry, ich kann’s mir nun mal nicht leisten, in den Waschen-Föhnen-Flach legen-Salon zu gehen.« Dann marschierte sie weiter in die Ecke der Cafeteria, wo sie immer allein aß und Patience mit Karten spielte, die Heiligenfiguren auf der Rückseite hatten .
    Â»Mannomann«, sagte einer von meinen Freunden, »mit der würd ich mich lieber nicht anlegen.«
    Ich lachte, weil alle anderen lachten. Aber ich beobach tete auch, wie sie sich hinsetzte, ihr Tablett mit dem Essen wegschob und anfing, ihre Karten

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