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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sicher stinksauer auf mich ist.«
    Diese Anna – die jetzt richtig nervös ist – erinnert kaum noch an die Anna, mit der ich in der letzten Stunde zusammen war. Ich frage mich, wie sie einerseits so mutig sein kann, die eigenen Eltern zu verklagen, und sich andererseits davor fürchtet, der eigenen Mutter unter die Augen zu treten. »Und wieso?«
    Â»Ich bin heute von zu Hause weggegangen, ohne ihr zu sagen, wo ich hingehe.«
    Â»Machst du das öfter?«
    Anna schüttelt den Kopf. »Normalerweise tu ich, was man mir sagt.«
    Tja, früher oder später muß ich sowieso mit Sara Fitzgerald reden. Ich steige aus dem Auto und warte, bis Anna ebenfalls ausgestiegen ist. Gemeinsam gehen wir den Weg zur Haustür hoch, vorbei an den adretten Blumenbeeten.
    Sie ist nicht der böse Feind, auf den ich mich eingestellt hatte. Zunächst einmal ist Annas Mutter kleiner als ich und schmächtiger. Sie hat dunkles Haar und einen gehetzten Blick, und sie tigert unruhig auf und ab. Sobald wir hereinkommen, stürzt sie auf Anna zu. »Um Himmels willen«, ruft sie, faßt ihre Tochter an den Schultern und schüttelt sie, »wo hast du gesteckt? Du hast ja keine Ahnung –«
    Â»Entschuldigen Sie, Mrs. Fitzgerald. Darf ich mich vorstellen?« Ich trete vor und strecke die Hand aus. »Ich bin Julia Romano, die Verfahrenspflegerin, die vom Gericht benannt wurde.«
    Sie schiebt einen Arm um Anna, eine unbeholfen demonstrative Zärtlichkeit. »Danke, daß Sie Anna nach Hause gebracht haben. Ich kann mir vorstellen, daß Sie viel mit ihr zu besprechen haben, aber im Augenblick –«
    Â»Eigentlich würde ich gerne mit Ihnen sprechen. Ich soll dem Gericht in nicht ganz einer Woche einen Bericht vorlegen, deshalb wäre es schön, wenn Sie jetzt ein paar Minuten Zeit hätten –«
    Â»Hab ich nicht«, sagt Sara schroff. »Im Augenblick ist es wirklich ungünstig. Meine andere Tochter ist gerade wieder ins Krankenhaus gekommen.« Sie sieht Anna an, die jetzt im Durchgang zur Küche steht: Na, bist du jetzt froh?
    Â»Das tut mir wirklich leid.«
    Â»Mir auch.« Sara räuspert sich. »Danke, daß Sie hergekommen sind, um mit Anna zu sprechen. Und ich weiß, daß Sie nur Ihre Pflicht tun. Aber das Ganze wird sich von selbst klären, da bin ich sicher. Es handelt sich um ein Mißverständnis. Ich bin sicher, Richter DeSalvo wird Ihnen das in ein, zwei Tagen mitteilen.«
    Sie macht einen Schritt zurück, fordert meinen – und Annas – Widerspruch heraus. Ich schiele zu Anna hinüber, die meinen Blick auffängt und fast unmerklich den Kopf schüttelt, eine Bitte, vorläufig nichts darauf zu sagen.
    Wen will sie schützen – ihre Mutter oder sich selbst?
    In meinem Kopf gellen Alarmglocken. Anna ist drei zehn. Sie lebt mit ihrer Mutter zusammen, die Vertreterin der Gegenseite ist. Wie kann Anna im selben Haus mit Sara Fitzgerald leben und nicht von ihr beeinflußt werden?
    Â»Anna, ich ruf dich morgen an.« Dann gehe ich aus dem Haus, ohne mich von Sara Fitzgerald zu verabschieden, und mache mich auf den Weg zu dem einzigen Ort auf Erden, zu dem ich nie hinwollte.
    Die Anwaltskanzlei von Campbell Alexander sieht genauso aus, wie ich sie mir vorgestellt habe: im obersten Stock eines schwarz verglasten Gebäudes, am Ende eines mit einem persischen Läufer ausgelegten Ganges, hinter zwei dicken Mahagonitüren, die das gemeine Volk draußen halten. Hinter einem wuchtigen Empfangsschreibtisch sitzt eine Frau mit Porzellanteint und einem Telefonheadset, das unter ihrer üppigen Haarpracht fast verschwindet. Ich achte nicht weiter auf sie und gehe auf die einzige geschlossene Tür zu. »He!« ruft sie. »Sie können da nicht einfach rein!«
    Â»Er erwartet mich schon«, sage ich.
    Campbell blickt nicht von dem Notizblock auf, auf dem er mit großem Elan etwas aufschreibt. Seine Hemdsärmel sind bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Er müßte mal zum Friseur. »Kerri«, sagt er, »schauen Sie mal nach, ob Sie irgendwelche Talkshow-Mitschnitte über eineiige Zwillinge finden können, die nicht wissen, daß sie –«
    Â»Hallo, Campbell.«
    Zuerst hört er auf zu schreiben. Dann hebt er den Kopf. »Julia.« Er steht auf, ein Schuljunge, der bei irgendwas Unanständigem erwischt wurde.
    Ich trete ins Zimmer und schließe die Tür

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