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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Wo ich mich doch hinterher so verhalten habe wie alle anderen. »Erinnerst du dich –«, setze ich an.
    Â»Ich erinnere mich an alles, Campbell«, unterbricht sie mich. »Sonst wäre es jetzt nicht so schwer für mich.«
    Mein Pulsschlag schnellt so rasant in die Höhe, daß Judge aufsteht und mir unruhig mit der Nase gegen die Hüfte stupst. Ich hatte damals geglaubt, daß Julia, die doch immer so frei wirkte, nichts erschüttern könnte. Ich hatte gehofft, daß mir genauso viel Glück beschieden sein würde.
    In beiden Fällen lag ich falsch.
    ANNA
    In unserem Wohnzimmer ist ein ganzes Regalbrett der visuellen Geschichte unserer Familie vorbehalten. Da stehen Babyfotos von jedem von uns, einige Porträtaufnahmen aus der Schule und etliche Schnappschüsse, die in den Ferien, auf Geburtstagen und Familienfesten aufgenommen wurden. Wenn ich sie sehe, muß ich an Kerben, die man sich in den Gürtel macht, oder an Striche an einer Zellenwand denken – sie sind der Beweis, daß Zeit vergangen ist, daß wir nicht alle nur im luftleeren Raum schweben.
    Es gibt Doppelrahmen und Einzelrahmen, 13 × 18, 10 × 15. Sie sind aus hellem Holz mit Intarsien, und einer hat ein ganz ausgefallenes Glasmosaik. Ich nehme ein Foto von Jesse in die Hand – er ist ungefähr zwei, im Cowboykostüm. Wer es sich ansieht, käme nie drauf, wie dieser kleine Junge sich mal entwickeln würde.
    Es gibt welche von Kate mit Haaren und welche, auf denen Kate ganz kahl ist; eins von Kate als Baby auf Jesses Schoß; eins von meiner Mutter am Rand eines Teiches, wie sie die beiden festhält. Es gibt auch Bilder von mir, aber nicht viele. Ich werde mit einem einzigen Sprung vom Säugling zur Zehnjährigen.
    Vielleicht liegt es daran, weil ich das dritte Kind war und sie es bereits leid waren, ihr Leben zu dokumentieren. Vielleicht haben sie’s auch einfach nur vergessen.
    Daran ist niemand schuld, und es ist auch keine große Sache, aber ein bißchen traurig ist es schon. Ein Foto sagt: Du warst glücklich, und das wollte ich festhalten . Ein Foto sagt: Du warst mir so wichtig, daß ich alles andere wegge legt habe, um dir zuzuschauen .
    Mein Vater ruft um elf Uhr an und fragt, ob er mich abholen soll. »Mom bleibt im Krankenhaus«, erklärt er. »Aber wenn du nicht allein im Haus sein willst, kannst du auf der Wache schlafen.«
    Â»Nein, ist schon okay«, sage ich. »Jesse ist ja da, wenn ich was brauche.«
    Â»Stimmt«, sagt mein Vater, »Jesse.« Wir tun beide so, als wäre das ein verläßlicher Notfallplan.
    Â»Wie geht’s Kate?« frage ich.
    Â»Noch immer ziemlich weggetreten. Sie haben ihr Medikamente gegeben.« Ich höre, wie er scharf einatmet. »Weißt du, Anna«, beginnt er, doch dann ertönt eine schrille Glocke im Hintergrund. »Kleines, ich muß los.« Mir bleibt von ihm nur ein Ohr voll toter Luft.
    Einen Moment lang halte ich einfach den Hörer fest und stelle mir vor, wie mein Dad in seine Stiefel steigt und die auf dem Boden zusammengefallene Hose an den Trägern hochzieht. Ich sehe das Tor der Wache vor mir, das sich gähnend öffnet wie Aladins Höhle, und den Löschzug, der mit heulenden Sirenen losbraust, mein Vater auf dem Beifahrersitz. Jedes Mal, wenn er zur Arbeit fährt, muß er ein Feuer löschen.
    Das ist genau die Aufforderung, die ich brauche. Ich schnappe mir einen Pullover, verlasse das Haus und gehe zur Garage.
    Bei mir in der Klasse war ein Junge namens Jimmy Stredboe, ein totaler Loser. Er hatte sogar auf den Pickeln noch Pickel. Er hatte eine zahme Ratte namens Heidi, und einmal hat er im Biounterricht ins Aquarium gekotzt. Keiner sprach mit ihm, für den Fall, daß Blödheit ansteckend war. Aber dann wurde eines Tages bei ihm multiple Sklerose festgestellt. Von da an war keiner mehr gemein zu Jimmy. Wenn er dir auf dem Flur begegnete, hast du ihn angelächelt. Wenn er in der Cafeteria mit dir an einem Tisch saß, hast du ihm zugenickt. Als hätte die Tatsache, daß er plötzlich eine wandelnde Tragödie war, völlig vergessen gemacht, was für eine Pfeife er mal war.
    Ich bin, seit ich geboren wurde, das Mädchen mit der kranken Schwester. Bankangestellte haben mir einen Lutscher mehr geschenkt, Schulleiterinnen kennen mich mit Namen. Zu mir ist niemand mal richtig fies.
    Deshalb frage

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