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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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daß ihre Wangen hart wie Pflaumen wurden und ihre Augen nur noch Rot sahen. Kate sah aus wie ein Kobold, mit spaghettidünnen Armen und Beinen, und wenn sie sich vorbeugte und dann die Füße in die Luft schwang, sah das so zart aus, als würde eine Spinne die Wand hochlaufen. Ich dagegen widerstand der Schwerkraft eher mit Wucht.
    Ein paar Sekunden lang hielten wir schweigend das Gleichgewicht. »Ich wünschte, mein Kopf wäre flacher«, sagte ich, als ich spürte, wie sich meine Augenbrauen zusammenzogen. »Meinst du, ein Mann kommt zu uns nach Hause, um die Zeit zu stoppen? Oder schicken wir denen einfach ein Videoband?«
    Â»Das sagen die uns bestimmt noch.« Kate schob ihre Arme über den Teppich.
    Â»Meinst du, wir werden berühmt?«
    Â»Vielleicht kommen wir ins Fernsehen. Einmal haben sie einen elfjährigen Jungen gezeigt, der mit den Füßen Klavier spielen konnte.« Sie überlegte eine Sekunde. »Mom kannte jemanden, der ist von einem Klavier erschlagen worden, das aus einem Fenster gefallen ist.«
    Â»Nie im Leben. Es schmeißt doch keiner ein Klavier aus dem Fenster.«
    Â»Doch. Frag Mom. Und das Klavier sollte nicht raus, es sollte rein.« Sie schlug die Beine an der Wand übereinander, so daß es aussah, als säße sie einfach verkehrt herum. »Was, meinst du, ist die beste Art zu sterben?«
    Â»Darüber will ich nicht reden«, sagte ich.
    Â»Wieso? Ich muß sterben. Du mußt sterben.« Als ich die Stirn runzelte, sagte sie: »Na, mußt du doch.« Dann grinste sie. »Ich bin bloß wie immer schneller als du.«
    Â»Das ist ein blödes Gespräch.« Meine Haut juckte bereits an Stellen, an denen ich mich ganz sicher nicht würde kratzen können.
    Â»Vielleicht ein Flugzeugabsturz«, sinnierte Kate. »Klar, das ist bestimmt ätzend, wenn du merkst, daß es abwärts geht … aber dann passiert es, und du bist bloß noch Pulver. Wie kann das eigentlich sein, daß die Menschen pulverisiert werden und man trotzdem noch Kleidungsstücke in Bäumen findet, und diese Blackbox?«
    Inzwischen pochte mir der Kopf. »Halt die Klappe, Kate.«
    Sie ließ sich an der Wand runterrutschen und setzte sich auf, ganz rot im Gesicht. »Man kann ja auch im Schlaf abkratzen, aber das ist irgendwie langweilig.«
    Â»Halt die Klappe«, wiederholte ich, wütend, daß wir nur eine knappe Minute durchgehalten hatten und jetzt wieder einen neuen Rekordversuch starten mußten. Ich ging wieder in den Kopfstand und versuchte, meinen wirren Vorhang von Haaren aus dem Gesicht zu streichen. »Weißt du, normale Menschen sitzen nicht rum und denken ans Sterben.«
    Â»Lügner. Alle denken ans Sterben.«
    Â»Alle denken daran, daß du stirbst«, sagte ich.
    Es wurde so leise im Zimmer, daß ich mich schon fragte, ob wir uns vielleicht an einem anderen Rekord versuchen sollten – wie lange können zwei Schwestern die Luft anhalten?
    Dann zuckten ihre Lippen, und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Tja«, sagte Kate. »Wenigstens sagst du jetzt die Wahrheit.«
    Jesse gibt mir zwanzig Dollar für das Taxi nach Hause, weil das der einzige Haken in seinem Plan ist. Wenn wir die Sache durchziehen, fährt er nicht wieder zurück. Wir nehmen nicht den Fahrstuhl, sondern die Treppe in den siebten Stock, weil wir so hinter der Stationszentrale rauskommen und nicht davor. Dann versteckt er mich in einem Wäscheschrank voller Kissenbezüge und Laken aus Plastik, auf denen der Name des Krankenhauses steht. »Moment«, sage ich noch, als er gerade gehen will. »Wie soll ich wissen, wann es so weit ist?«
    Er lacht. »Das wirst du schon merken.«
    Er holt eine silberne Taschenflasche hervor – die hat mein Vater von seinem Chef bekommen, und er denkt, er hätte sie vor drei Jahren verloren –, schraubt den Deckel ab und schüttet sich Whiskey vorne übers Hemd. Dann geht er den Flur hinunter. Na ja, gehen trifft es nur annähernd – Jesse prallt wie eine Billardkugel gegen die Wände und kippt einen Putzkarren um. »Ma?« brüllt er. »Ma, wo bist du?«
    Er ist zwar stocknüchtern, aber den Betrunkenen mimt er richtig gekonnt. Ich muß daran denken, daß ich manchmal mitten in der Nacht vom Fenster meines Zimmers aus gesehen habe, wie er in die Rhododendronbüsche kotzte – vielleicht war das ja auch

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