Beim Leben meiner Schwester
bloà Show.
Die Krankenschwestern an der Stationszentrale schwärmen hinter ihrem Bienenstock von Theke hervor und versuchen, einen jungen Burschen zu bändigen, der halb so alt ist wie sie und dreimal so stark und jetzt auch noch das oberste Brett eines Wäscheregals mit zu Boden reiÃt. Es kracht so laut, daà mir die Ohren klingen. An der Zentrale schrillt ein Konzert von Rufsignalen los, aber alle drei Nachtschwestern sind voll und ganz mit Jesse beschäftigt, der sich mit Händen und FüÃen wehrt.
Die Tür zu Kates Zimmer geht auf, und meine Mutter kommt mit verschlafenen Augen heraus. Sie erblickt Jesse, und eine Sekunde lang erstarrt ihr Gesicht, als ihr klar wird, daà es tatsächlich immer noch schlimmer kommen kann. Jesse dreht den Kopf zu ihr herum, ein groÃer starker Stier, und seine Miene wird weich. »Hallo, Mom«, ruft er und lächelt wirr zu ihr hoch.
»Bitte entschuldigen Sie«, sagt meine Mutter zu den Schwestern. Sie schlieÃt die Augen, als Jesse mühsam auf die Beine kommt und seine schlaffen Arme um sie wirft.
»In der Cafeteria gibt es Kaffee«, schlägt eine Schwester vor, und meine Mutter ist so verlegen, daà sie ihr nicht mal antwortet. Sie geht einfach zu den Fahrstühlen, mit Jesse, der an ihr klebt wie eine Muschel an einem Schiffsrumpf, und drückt den Abwärtsknopf immer und immer wieder.
Als sie weg sind, ist es fast zu einfach. Eine Schwester hastet zu den Patienten, die geklingelt haben. Die anderen beiden ziehen sich wieder hinter die Theke zurück und tauschen halblaute Bemerkungen über Jesse und meine arme Mutter aus, als wäre es ein Kartenspiel. Sie schauen gar nicht in meine Richtung, als ich aus dem Wäscheschrank schleiche, auf Zehenspitzen den Gang entlanggehe und dann zu meiner Schwester ins Zimmer schlüpfe.
Einmal, an Thanksgiving, als Kate nicht im Krankenhaus war, taten wir tatsächlich so, als wären wir eine ganz normale Familie. Wir schauten uns die Parade im Fernsehen an, da wurde ein riesiger Ballon von einer Windböe mitgerissen und wickelte sich schlieÃlich um eine Ampel in New York City. Wir hatten ein richtiges Thanksgiving-Essen. Meine Mutter brachte den Wunschknochen des Truthahns an den Tisch, und alle rissen wir uns darum, ihn knacken zu dürfen. Kate und ich waren die Glücklichen. Bevor ich meine Seite des Gabelknochens richtig packen konnte, beugte sich meine Mutter zu mir vor und flüsterte mir ins Ohr: »Du weiÃt ja, was du dir wünschen muÃt.« Also schloà ich die Augen und dachte ganz fest an eine Remission für Kate, obwohl ich mir eigentlich einen CD-Player hatte wünschen wollen, und erntete die böse Befriedigung, daà ich nicht das längste Knochenstück behielt.
Nach dem Essen ging mein Vater mit uns nach drauÃen, und wir spielten Football zwei gegen zwei, während meine Mutter das Geschirr abwusch. Als sie rauskam, hatten Jesse und ich schon zweimal gepunktet. »Ich hoffe inständig, ich habe Halluzinationen«, sagte sie. Mehr muÃte sie nicht sagen â wir hatten alle schon mal gesehen, daà Kate wie ein ganz normales Kind hinfiel und dann unkontrollierbar blutete wie ein krankes.
»Ach, Sara.« Mein Dad lächelte sie entwaffnend an. »Kate ist in meiner Mannschaft. Ich paà schon auf sie auf.«
Er stiefelte zu meiner Mutter und küÃte sie so lange und langsam, daà meine eigenen Wangen anfingen zu brennen, weil ich sicher war, daà die Nachbarn alles mitbekommen würden. Als er den Kopf hob, hatten die Augen meiner Mutter eine Farbe, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte, und auch danach nie wieder sah, glaube ich. »Vertrau mir«, sagte er, und dann warf er Kate den Football zu.
Ich erinnere mich noch, wie bissig kalt der Boden war, wenn man sich hinsetzte â der erste Vorbote des Winters. Ich erinnere mich, wie mein Vater mich ab und zu umstieÃ, wenn ich den Ball hatte, aber immer so, daà er sich rechtzeitig abstützte und ich nicht sein volles Gewicht spürte, sondern nur seine Wärme. Ich erinnere mich an meine Mutter, die für beide Mannschaften gleich stark jubelte.
Und ich erinnere mich, wie ich Jesse den Ball zuwarf und Kate dazwischensprang â sehe noch den völlig überraschten Ausdruck auf ihrem Gesicht, als der Ball tatsächlich in ihren ausgestreckten Armen landete und Dad sie anfeuerte, einen Touchdown zu machen. Sie sprintete los und
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